Meagan McKinney
war.
Gegenüber
stieß Glassie einen lauten, röchelnden Schnarcher aus und bewegte sich, aber
Cain ignorierte ihn.
»Was ist
denn los? Ich habe gesehen, wie du mit Rollins gesprochen hast.« Sie wartete
ruhig auf die schlechten Nachrichten. Schließlich hatte sie nur schlechte
Nachrichten zu erwarten.
Cain nahm
ihre Hand mit der Narbe in seine und zeichnete jedes kleine Blütenblatt mit
seiner Fingerspitze nach. Seine Miene war nachdenklich, entschlossen,
furchteinflößend. In dieser Stimmung wirkte er seltsam erschreckend, fand sie.
Und was er dann tat, raubte ihr jedesmal den Atem.
»Der Zug
wird in einer Stunde in Abbeville halten.«
»Befürchtest
du, Didier könnte zusteigen?«
»Nein.
Rollins und die Marshals werden dafür sorgen, daß es nicht geschieht.«
Christal
sah ihn aufmerksam an. Inzwischen war sie besser in der Lage, in den kalten
Tiefen seiner Augen zu lesen. Irgend etwas stimmte ganz entschieden nicht. Er
hatte ihr noch einiges mehr zu sagen, aber er schien noch nicht bereit.
»In
Abbeville mußt du verschwinden.«
Jeder
Muskel in ihrem Körper versteifte sich vor Schreck. Sie starrte ihn ungläubig
an. »Aber ... aber wieso jetzt?« stammelte sie.
Er drückte
ihre vernarbte Hand, als bräuchte ausgerechnet er etwas, das ihn ermutigte.
»Ich weiß besser als jeder andere, daß es Schlachten gibt, die man nicht
gewinnen kann. Rollins hat es mir eben noch einmal sehr deutlich gemacht. Ich
bin mir nicht mehr sicher, ob wir siegen können, Christal. Wenn ich diesen
Krieg verliere, stehe ich das nicht durch. Das Gesetz soll verdammt sein, ich weiß, daß du unschuldig bist, und ich werde es bis zu dem Tag glauben, an dem ich
sterbe. Wenn wir also in Abbeville halten, steigst du aus, wenn ich dir zunicke
und tauchst in der Stadt unter. Ich werde eine Stunde später nachkommen. Wenn
wir den Big Crimloe Creek durchqueren, muß der Zug die Steigung zur Brücke
langsamer nehmen. An dieser Stelle werde ich abspringen. Es wird einen Tag
dauern, bis Rollins den Vorsprung bewältigt hat, denn der nächste Halt kommt
erst Stunden später.«
»Rollins
weiß Bescheid, nicht wahr? Er wird dir helfen, weil er dein Freund ist. Du
brichst für mich das Gesetz ...«
»Nein,
nicht für dich, Christal. Für uns. Verstehst du? Für uns. Der Krieg hat mir
meine ganze Familie genommen, mein Zuhause und mein Land. Ich habe nichts mehr
außer dir. Wenn ich dich verliere, besitzte ich gar nichts mehr.«
»Wir werden
ewig davonlaufen.«
»Ich kenne
diese Art von Leben sehr gut.«
Sie sah ihn
an. Er lächelte bitter. Das Lächeln eines Abtrünnigen.
»Mit der
Hilfe meines Schwagers könnte ich tatsächlich einen neuen Prozeß bekommen.
Sollten wir es nicht wenigstens versuchen?«
»Wenn wir
New York erreicht haben, wird man uns nicht mehr alleine atmen lassen. Es wird
keine Gelegenheit wie diese mehr geben.«
»Willst du
das wirklich tun? Es richtet sich gegen alles, woran du je geglaubt hast.« Sie
sah ihm flehend tief in die Augen.
»Ich muß es
tun.« Sein durchdringender Blick schien ihre Seele zu suchen. Sanft beugte er
sich zu ihr und legte seine Lippen auf ihre. »Es ist nicht das Leben, das ich
wähle, Christal, die Wahl heißt kein Leben oder ein Leben ohne dich.«
Der Zug
wurde langsamer. Das Pfeifen kündigte Abbeville an.
»0 Gott,
bist du dir sicher?« flüsterte sie verängstigt. Der Plan schien verrückt, zum
Scheitern verurteilt. Es tat weh, aber sie fragte sich, ob er sie nicht doch
inzwischen für schuldig hielt.
Sein
Gesicht schien sich in eine steinerne Maske verwandelt zu haben. »Ich werde zu
Rollins nach vorne gehen und ihn zu einer Partie Poker überreden. Die Marshals
werden nachziehen. Wenn der Zug hält, steigst du über die Plattform aus. Ich
treffe dich in einer Stunde in Abbeville. Wir werden uns ein Pferd nehmen und
vor Einbruch der Nacht verschwunden sein.«
Er stand
auf, und sie klammerte sich einen Augenblick an seine Hand. Dann ließ sie ihn
gehen und sah ihm in stummer Verzweiflung nach, wie er sich zu den Männern im
vorderen Teil des Wagens gesellte.
Mr. Glassie
stieß wieder ein geräuschvolles Schnarchen unter seinem Hut hervor. Er schlief
immer noch fest. Sie würde ihm nicht einmal Lebwohl sagen können.
Langsam
stand sie auf und sah zu Macaulay hinüber. Er mied absichtlich ihren Blick,
als würde das möglicherweise ihre Flucht verraten. Sie schob die hintere Tür
zurück, die zur Plattform zwischen Personen- und Gepäckwagen führte. Es
quietschte entsetzlich.
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