Meagan McKinney
hielt den Gürtel weit von seinem Körper ab. »Die Bibliothek
liegt zu Ihrer Rechten, Miss.« Ohne Cain noch eines Blickes zu würdigen,
marschierte Whittaker steif davon, wobei er den Gürtel hielt, als wäre er eine
Bombe.
»Glaubst
du, sie erkennt mich wieder?« Christal wandte sich besorgt an Macaulay.
Aber Cain
sah sie nicht an. Statt dessen musterte er die korinthischen Säulen, die das
Foyer säumten. Er berührte eine, um zu sehen, ob sie wirklich aus Marmor
wären, und sein Gesichtsausdruck sagte ihr, daß sie es waren.
»Diese
Leute leben ja in einer Bank.«
Endlich sah
sich auch Christal in der Halle um. Es war in der Tat das aufwendigste Foyer,
das sie je gesehen hatte, aber sie konnte sich einfach keine Gedanken darüber
machen. Sie war zu aufgeregt.
»Komm in
die Bibliothek. Da ist es bestimmt bequemer.« Sie nahm seine Hand und zog ihn
durch die Tür, die Whittaker ihr gewiesen hatte.
Die
Bibliothek war alles andere als gemütlich. Die Wände waren mit Flämischen
Wandbehängen aus dem sechzehnten Jahrhundert bekleidet, die die Union von
Utrecht zeigten, der Boden war mit Englisehen
Axminster Teppichen augelegt, die Möbel waren zu verziert und üppig vergoldet.
Als Christal einen Blick auf Macaulay wagte, mußte sie sich eingestehen, daß
er auf dem Louis-XIV.-Stuhl mit etwa soviel Behagen saß wie auf einem
Nagelbrett.
»Christal?«
Christal
wandte den Kopf in Richtung des Flüsterns. Ein Schrei entrang sich ihrer
Kehle. Alana stand in der Tür. Ihr blondes Haar von der Farbe der Butter war zu
einem festen Knoten hochgesteckt. Sie trug ein Kleid aus grasgrünem Taft, das
exakt die Farbe ihrer Augen widerspiegelte. Christal konnte nicht fassen, wie
sehr sie ihrer Mutter ähnlich sah.
»0
Christal«, weinte Alana plötzlich und vergaß alle Förmlichkeiten. Sie rannte
auf ihre Schwester zu, und Christal begann zu schluchzen. Die beiden Frauen
fielen sich in die Arme und hielten sich fest, als wollten sie sich niemals
mehr loslassen.
»Ich habe
mir solche Sorgen gemacht. Ich glaube nicht, daß ich in all den Jahren gut
geschlafen habe, aber heute Nacht wird es wunderbar sein.« Alana hielt sie für
gut eine Minute fest, dann rückte sie ein Stück ab und betrachtete sie.
Christal
hatte den Eindruck, als wäre ihre Schwester überhaupt nicht gealtert. Der
einzige Unterschied, den sie feststellen konnte, war die tiefe Zufriedenheit
in ihren Augen, wähernd sie bei ihren kurzen Besuchen in der Anstalt immer nur
Schmerz in ihrem Blick entdecken konnte.
Christal
konnte kaum sprechen. Tränen brannten in ihren Augen. »Und du hast Kinder? Ich
habe Nichten oder Neffen?«
»Beides.
Sollen wir ins Kinderzimmer gehen? Dann kann ich sie dir gleich vorstellen.«
Christal
lachte und wischte sich die Tränen von den Wangen. »Ich kann mir nicht
vorstellen, was ich in diesem Augenblick lieber täte! Mutter und Vater wären
so glücklich. Ich wünschte so sehr, sie hätten sie sehen können.«
»Dann laß
uns gehen.«
»Warte.«
Christal wandte sich an Cain, der schweigend am Kamin saß. Sie konnte die
Unsicherheit in seiner Miene sehen. Der Ausdruck verwirrte sie. Und er gefiel
ihr nicht.
»Alana. Das
ist Macaulay Cain. Er ... er ...« Sie konnte kaum in Worte fassen, was er ihr
bedeutete. Ihre Schwester bemerkte es.
»Mr. Cain.«
Sie hielt ihm die Hand hin. Als Cain sie nahm, küßte sie ihn freimütig und
herzlich auf die Wange. »Mein Mann hat mir erzählt, daß Sie meine Schwester
beschützt haben. Dafür kann ich Ihnen niemals genug danken. Solange ich lebe,
werden Sie mir stets ein lieber Freund sein.«
»Vielen
Dank, Ma'am«, antwortete er feierlich. Dann glitt sein Blick zu Christal. »Geh
nur und schau dir die Kinder an, Christal. Laß dich von mir nicht aufhalten.
Ich mach' es mir hier bequem, damit du ein wenig Zeit für deine Schwester
hast.«
»Danke.«
Christal drückte seine Hand. »Ich werde nicht lange weg sein.«
»Schon
gut«, wiederholte er. »Ich mach's mir eine Weile bequem.«
Christal
warf einen Blick zurück, bevor sie mit ihrer Schwester das Zimmer verließ.
Cain saß wieder auf seinem Louis-XIV.-Stuhl. Sie hätte am liebsten gelacht. Er
würde sich nie und nimmer dort Wohlfühlen können.
»Er
sieht sehr gut aus«,
bemerkte Alana, während sie die Treppen zum Kinderzimmer im dritten Stock hinaufgingen.
»Macaulay?«
Über Christals Lippen huschte ein heimliches Lächeln. »Ja, er sieht gut aus.«
»Liebst du
ihn? Oh, natürlich liebst du ihn. Das kann man dir
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