Meagan McKinney
geben. Ihre einzige Hoffnung lag bei Cain und
seiner Erkenntnis, wie verrückt es war, allein mit Kineson hinauszureiten.
Doch er schien nicht daran zu denken. Ja, er hatte Kinesons Pläne förmlich
unterstützt. Und wenn es ihr auch fast das Herz brach, so durfte sie
doch keinesfalls vergessen, daß der Mann, der sie geküßt und nachts in seinen Armen
gehalten hatte, auch ihr Entführer war. Cain gehörte zu dem Plan, die Overland
Gesellschaft zu schädigen wie jeder andere der Gang um Kineson. Cain war ein
Verbrecher, ebenso wie der nun tote Marmet oder Boone. Da gab es nichts zu
beschönigen, nichts zu leugnen.
Am Rande
der Ebene begann Christal sich wieder an den Weg zu erinnern, der zu der
Übergabestelle führte. Es schien Jahre her zu sein, daß Cain sie dort hin
mitgenommen hatte. Damals hatte das Schweigen zwischen ihnen gestanden wie
jetzt, doch nun war es ein anderes Schweigen. An jenem Tag war es eindimensional gewesen, leer, einfach Schweigen, doch nun war es fast etwas Lebendes,
wie eine Gestalt, die zwischen ihnen saß und verzerrt war von Emotionen und
Erinnerungen, was vielleicht hätte sein können. Das Schweigen war in Schwarz
gekleidet.
Christal
weigerte sich, an das Kommende zu denken. Sie klammerte sich fester an Cain,
legte ihre Wange an den weichen, verblichenen Stoff seines Hemdes und suchte
Trost in dem geschmeidigen Spiel seiner Muskeln auf dem Rücken, während er sein
Pferd vorantrieb. Das Mädchen, das sie sein sollte, hätte niemals einen
Revolverhelden umarmt, doch das Mädchen, das sie geworden war, fühlte sich verzweifelt
und einsam. Es war, als hätte man ihr einen kurzen Blick auf etwas
Wundervolles, Gutes und Schönes gewährt, und in dem Augenblick, als sie erkannte
hatte, was sie bekommen könnte, die Tür wieder zugeschlagen. Nun stand sie
alleine draußen in der Kälte, die nur noch schlimmer war, da sie jetzt wußte, was sie niemals besitzen konnte.
Cain spürte
ihre Trauer und sagte weich: »Alles wird gut, Mädchen.«
Sie gab
keine Antwort, sie sah ihn nicht an. Sie fürchtete zu sehr, daß die Tränen
strömen würden.
Die Gang
erreichte den
Wasserturm lange vor Mittag. Die Pferde der anderen Männer wurden in einem kleinen
Wäldchen unter einem Felsvorsprung außer Sicht der
Bahnschienen angebunden. Cain und Kineson saßen auf ihren Pferden in
den Schatten und hielten sich
bereit. Christal hielt sich an Cains Hüften fest und spürte,
wie ihre Angst immer mehr wuchs, während die Sonne sich auf den Zenit
zubewegte. Die restlichen
Gangmitglieder krochen mit den Winchestern in der Hand durch das hohe Gras, um
sich strategisch günstig in der Nähe der Abwurfstelle zu positionieren.
Sie sahen
die Lokomotive schon, als sie noch etwa fünf Meilen weit fort war. Aus der
Entfernung wirkte sie wie ein
nettes kleines Spielzeug, die einer Gang von
brutalen Outlaws nichts entgegenzusetzen hatte. Doch je näher sie kam, desto
finsterer und gewaltiger wirkte sie.
Das Kreischen geölten Stahls und das Hämmern der Räder erinnerten an eine
zornige Bestie. Das Zischen des Dampfes war wie ein Kampfschrei, der
Aufruf zu einer grausamen Schlacht.
»Wir haben
den Plan mehrmals durchgesprochen. Noch Fragen?« Kineson hatte sich an Cain
gewandt, sah aber Christal an. Sie zuckte zurück.
»Keine
Fragen«, antwortete Cain automatisch. Er nickte, seine Augen waren kalt.
Sie
beobachteten, wie die Lokomotive kreischend unter dem Wasserturm zum Stehen kam
– ein seltsamer Anblick hier in der weiten Leere der Prärie ohne Menschen,
Gebäude, winzig in der Unendlichkeit des Landes. Der Zug bestand nur aus
Lok, dem Tender und einem
einzigen Wagen – genau, wie Kineson es verlangt hatte.
Cain und
Kineson trieben ihre Pferde im Trab zum wartenden Zug hinunter. Cain sollte an
den Wagen heranreiten, und Christal hing an ihm wie ein verängstigtes
Kätzchen. Cain lenkte sein Pferd an den Zug und hämmerte mit dem Gewehrkolben
gegen die Wagentür.
Die Tür
öffnete sich ein paar Zentimeter.
Sofort
wurde ein kleiner Canvas-Beutel teerausgeschoben, der mit einem dumpfen Laut
zu Boden fiel.
Dann kam
noch einer und noch einer, bis neben den Schienen ein ganzer Haufen davon lag.
Cain schlitzte eines der Säckchen auf. Und Kineson stieß ein lautes Lachen aus,
als er den warmen Schimmer des Goldes darin sah.
Dann kam
der letzte Beutel, die Tür wurde zugezogen, und der Zug erwachte stampfend zum
Leben.
Christal
sah zu, wie er verschwand, ohne zu bemerken, daß
sich ihre Nägel in Cains Rücken
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