Meagan McKinney
–
natürlich hat er die meisten seiner Qualifikationen verschwiegen. Na ja, in den
letzten fünf Jahren hat es in Noble keinen Sheriff gegeben, und da waren die
Leute verdammt glücklich, einen zu bekommen. Er hat eben erfahren, daß der
Stadtrat zugestimmt hat. Er packt drüben im Willard seine Sachen.«
»Und all
das wegen einer Frau ... schwer zu glauben.«
»Eine
verdammt hübsche Frau, Sir. Eine Schönheit, um es genau zu sagen.« Rollins
strich sich über den Schnurrbart, wie immer, wenn er nachdenklich war.
»Schönheit
ist vergänglich. Weiß Cain das nicht?«
»Doch, das
weiß er. Wenn es je einen Mann gab, dem es nicht an schönen Frauen gemangelt
hat, dann Cain. Aber diesmal ist es anders, Sir. Und es macht mir fast etwas
Sorgen. Ich habe den Eindruck, daß er kopfüber in Ärger reitet.«
»Warum
denken Sie das?«
»Sie
wissen, wie Cain ist. Er hat im Krieg eine böse Schlappe einstecken müssen. Es
hat ihn tollwütig gemacht. Alles, woran er geglaubt hat, war nichtig geworden,
als er seine Waffen niederlegen und den Kampf aufgeben mußte. Er hat seine
Familie und seine ganze Heimatstadt verloren.« Rollins sah Grant fest an. »Ich
meine es ernst, Sir. Als er uns seine Dienste anbot, hätte ich nie geglaubt,
daß er es schafft. Er war ein kräftiger Mann und ein guter Kämpfer, das steht
fest, aber ich hatte Zweifel, daß er mit denselben Männer zusammenarbeiten
könnte, gegen die er bei Shiloh
und Gettysburg gekämpft hat. Und dann hat er uns alle überrascht. Er ist dem
Gesetz so treu, wie ein Mensch es überhaupt nur sein kann. Ich verstehe jetzt
auch, warum.«
Der
Präsident schien jedem Wort aufmerksam zuzuhören. »Und zu welchem Schluß sind
Sie gekommen?«
Rollins
Blick wurde sorgenvoll. »Es ist ganz einfach. Als er sein Land verlor, wurde
das Gesetz seine Heimat. Als er seine Familie verlor, wurde das Gesetz seine
Familie. Er hütet das Gesetz so liebevoll und behutsam, wie ich es bei noch
keinem Menschen beobachtet habe. Ich fürchte, in seiner Auslegung ist er unnachgiebig.
Sehen Sie, er kann die Zweischneidigkeit, mit der der Krieg ihn immer wieder
konfrontiert hat, nicht mehr ertragen.«
Grant
starrte ihn an. Langsam begriff er. »Und die Vergangenheit des Mädchens scheint
mit solchen Unsicherheiten gespickt zu sein.«
»So sieht
es aus.« Rollins blickte abwesend aus dem Fenster auf die winterliche
Pennsylvania Avenue. »Cain könnte sich unversehens wieder im Krieg befinden.
Diese Aura des Geheimnisvollen macht das Mädchen sehr anziehend, aber sie kann
ihm auch enorm schaden. Ihre Vergangenheit könnte das sein, was ihn zerbricht.«
Der
Präsident streckte sich und strahlte plötzlich Autorität aus. »Ich kann ihn
bitten hierzubleiben. Ich bin wohl der einzige Mann, auf den er hören würde –
abgesehen von Lee, aber – Gott sei seiner Seele gnädig – der weilt nicht mehr
unter uns.«
»Sie können
ihn fragen. Aber er wird es nicht tun.« Rollins stieß einen tiefen,
resignierten Seufzer aus. »Cain wird hinter dem Mädchen herlaufen, und nach
dem ich sie gesehen habe, kann ich es fast verstehen. Da ist eine Tristesse an
ihr, die sie umgibt wie ein Witwenschleier. Wenn sie Schaupsielerin wäre,
würde sie eine großartige Ophelia abgeben.«
Grant
wandte sich langsam wieder der blendend weißen Landschaft draußen zu, sein
einst so gutaussehndes Gesicht nun aufgedunsen und traurig. »Ich vermute,
Shakespeare kannte die menschliche Natur besser als Sie oder ich: > ... denn
die Macht der Schönheit wird eher die Tugend in eine Kupplerin verwandeln,
als die Kraft der Tugend die Schönheit sich ähnlich machen kann ... < « Grant
schwieg einen Moment, dann flüsterte er: »Die edle Ophelia ... schließ in dein
Gebet all meine Sünden ein.«
Januar 1876
Wenn das Stadtarchiv vollständig war,
dann hatte es in Noble bisher bloß drei noble Taten gegeben. Wyoming war nicht
gerade für seine Nächstenliebe bekannt. Dennoch waren Orte wie Noble
ursprünglich mit guten Absichten aus dem Boden hervorgewachsen, uni im Laufe
der Zeit zu etwas völlig anderem zu mutieren.
Die erste
noble Tat, die jemals in Noble vollzogen wurde, war der Aufschrei »Silber!«,
als der alte Grizzard vor zehn Jahren eine Ader entdeckte. Teile das Vermögen,
war sein Motto, und so geschah es, bis kein Vermögen mehr da war, was
unglücklicherweise sehr schnell geschah.
Die zweite
Tat ereignete sich vor acht Jahren, als die Bewohner begannen, die
Lutheranische Kirche im Westen der Stadt aufzubauen,
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