Meagan McKinney
weitaus schlimmer gewesen wäre als die Einsamkeit des Lebens, das ich
jetzt gewählt habe.
Meine Lage
ist furchtbar, Alana, doch noch schlimmer ist es, von Dir getrennt sein zu
müssen. Ich liebe Dich. Und ich will Dir eins versprechen: In den kommenden
Jahren, wenn die Gefahr vorüber ist, werde ich an Deiner Türschwelle stehen.
Wenn Du glaubst, alle Hoffnung sei vergebens, werde ich da sein. Ich werde Dich
umarmen und Dich nie wieder verlassen. Wir werden die Zeit wieder aufholen, die
man uns gestohlen hat, damit die Jahre, die vor uns liegen, um so süßer und
schöner sein werden.
Bitte suche
mich nicht, Alana. Du wirst mich nicht finden. Ich muß fortlaufen, weil ich
auch um Dein Leben fürchte. Es ist besser, wenn Du nichts weißt. Wenn die Zeit
gekommen ist, wird die Gerechtigkeit uns finden. Bis dahin wisse, daß ich immer
an Dich denken werde. Ich bete für Deinen guten Mann und für die Nichten und
Neffen, die ich eines Tages kennenlernen werde. Und ich bete dafür, daß Du
verstehst, ich mußte es tun. Bitte glaube mir, daß ich endlich glücklich bin.
Deine Dich bewundernde Schwester,
Christal
Alana starrte auf den Brief in ihrer
Hand. Tränen hatten die Tinte verschmiert, aber sie vermochte nicht zu sagen,
ob sie von Christal oder von ihr stammten. Die Handschrift war am Ende
flüchtiger geworden, und Alana fragte sich, wann Christal diese Zeilen wohl
geschrieben hatte. Der Poststempel war aus Manhattan, aber wo in Manhattan? Sie
sah das Bild ihrer Schwester auf einem Bahnhof oder an den Docks,
allein und verängstigt darauf wartend, daß sie in den Westen oder sogar nach
Europa fliehen konnte, um die Teufel aus New York weit hinter sich zu
lassen.
Der Verlust
Christals und die Angst, sie vielleicht nie wieder zu Sehen, zehrten an ihrem
Herzen. Doch noch schlimmer war der Schrecken, der langsam in ihr Bewußtsein
drang, das Wissen, daß der wahre Verbrecher entkommen und der Strafe für sein
widerwärtiges Verbrechen entronnen war. Wegen ihres Onkels hatte Christal
unsägliche seelische Qualen durchleiden müssen. Síe hatte zu früh erwachsen
werden müssen. Selbst der Brief war von einem Mädchen geschrieben, das viel
reifer als sechzehn war, das bereits zuviel durchgemacht hatte. Es war ein
Verbrechen gewesen, sie durch eine solche Hölle zu schicken, und die Tatsache,
daß dies alles hätte vermieden werden können, wenn es damals Gerechtigkeit
gegeben hätte, brachte Alana fast um den Verstand.
Aber sie
beherrschte sich. Ihr Zorn, ihr Durst nach Rache würde warten müssen, bis sie
sich sicher war, was am besten zu tun war. Christal hatte recht. Im Moment
konnte sie niemanden anklagen. Sie brauchte Hilfe, und dazu brauchte sie ihren
Mann.
Plötzlich
hatte sie es eilig, zu ihm zu kommen. Ei nen kostbaren Augenblick drückte sie
den Brief an ihre Brust. Er konnte das letzte sein, was sie jemals von
Christal hören würde, und sie mußte ihre Tränen niederkämpfen. Eines
Tages würde alles, was man ihnen angetan hat, gerächt werden. Irgendwie würde
sie Gerechtigkeit finden, und wenn es sie das ganze Leben kosten sollte.
Sie
sammelte sích und wandte sich an Whittaker, der immer noch schweigend und mit
betroffener Miene in der Tür stand. »Wo ist Mr. Sheridan?« fragte sie leise.
»In der
Bibliothek, Madam.«
Sie nickte.
Als sie
eintrat, fand sie Trevor an seinem Schreibtisch sitzend, wo er den Stapel
Papiere über Christals mögliche
Aufenthaltsorte durcharbeitete, die die Detektive abgeliefert hatten. Er sah
auf, als sie hereinkam. »Whittaker sagte mir, du hättest einen Brief bekommen«,
stellte er fest.
Alana
zögerte, als sie, seine harten Züge entdeckte. Einerseits wollte sie
um seine Hilfe flehen, andererseits wäre sie am liebsten davongelaufen, denn
er hatte sie abgewiesen, als sie ihm ihre Liebe gestand.
»Hast du
Nachricht von deiner Schwester?«
»Ja.« Alana
wußte nicht, wieviel sie ihm sagen sollte. Dann begann sie: »Sie ist
weggelaufen, wie du es gedacht hast. Sie konnte die Anstalt nicht mehr ertragen. Aber es gibt keine Spur, wo sie sein könnte. Der Poststempel ist von hier.«
»Darf ich
ihn sehen?«
Widerwillig reichte sie ihm den Brief. Er las ihn mit zusammengepreßten
Lippen und murmelte einmal »Bastard«, als er erkannte, daß sie von Didier geschrieben
hatte.
»Können wir
meinen Onkel auch finden?« flüsterte Alana.
Doch Trevor
kritzelte bereits die richtigen Anweisungen für die Detektive auf ein Stück
Papier.
»Ich habe
noch eine letzte
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