Meagan McKinney
wurden.
Mit
erschreckender Klarheit erinnerte sich Alana daran, wie zuvorkommend Didier
danach gewesen war. Er hatte alles in die Hand genommen, hatte den Letzten
Willen ihrer Eltern verlesen lassen, hatten die Reparaturen des Hauses am
Washington Square veranlaßt. Er schien ehrlich schockiert von den Ereignissen
gewesen zu sein, ganz besonders über Christabels Schicksal. Alana würde
niemals sein Gesicht vergessen, als der Superintendent der Polizei ihm von dem
belastenden Brandmal auf Christals Hand erzählte. Didier hatte den Polizeichef
persönlich davon überzeugt, Christal gegenüber wegen ihrer jun gen Jahre
Gnade walten zu lassen und sie vor dem Gefängnis oder Schlimmeres bewahrt. Er
hatte alles Menschenmögliche getan, den unbefleckten Namen der van Alens zu
schützen und die Spuren der Tragödie fortzuwischen. Es war die letzte
freundliche Tat, die er begangen hatte. Und wenn Didier nicht ein Alibi für
diese Nacht gehabt hätte – man hatte ihn in der Academy of Music gesehen
–, hätte Alana vielleicht nicht geglaubt, daß der Tod ihrer Eltern nur ein
entsetzlicher Unfall gewesen war. So aber wies alles darauf hin.
»Laß uns
nicht darüber sprechen, Christal. Du siehst so müde aus. Das kann dir nicht
guttun«, flüsterte Alana.
»Nein, ich
werde mich erinnern, Alana. Es ist meine einzige Hoffnung.«
»Christal
...« Alanas Stimme versagte. Sie konnte es nicht ertragen, ihre Schwester so
gemartert zu sehen, ihre liebe kleine Schwester, die mit ihr vor all den
Jahren zu Loft's Süßwaren ging und mit großen staunenden Augen auf die
Reihen von Gummidrops und Schokoladen starrte, nur um schließlich Alana
zuzustimmen, daß Lakritz das beste überhaupt war... Ja, es gab viel Elend auf
der Welt, und Armut war gewiß eins davon. Doch in diesem Moment wußte Alana,
daß sie zur Schaufel gegriffen und gearbeitet hätte, bis ihre Hände bluteten,
wenn sie damit Christals Los hätte mildern können.
»Bitte geh
jetzt, Alana.« Christal wischte sich die Wangen ab und stand auf. Sie warf die
letzten Brotkrumen den kleinen Enten zu, die immer noch zu ihren Füßen
warteten. »Ich bin wirklich müde, und dein Mann wartet sicher schon auf dich.
Ich möchte nicht, daß er wegen mir böse auf dich wird.«
Alana stand
auch auf. Sie wollte einfach noch nicht gehen. »Ich bringe dich noch in dein
Zimmer.«
Christal
schüttelte den Kopf. »Du kannst mir bei all dem nicht helfen, Alana. Ich ganz
allein muß das schaffen.«
»Bitte,
mach dir doch nicht solchen Kummer.« Alana wollte nach ihrer Hand greifen, aber
Christal schob sie fort.
»Nein,
Alana, geh jetzt. Ich darf dich nicht deinem Mann so lange fernhalten. Er war
bereits so nett, dich herkommen zu lassen. Geh und sag ihm, wie dankbar ich
bin«, – Christals Stimme zitterte – »und versprich mir, daß du ihm sagst, er
habe die tapferste und liebste Lady von ganz New York geheiratet.«
Alana
begann zu weinen. Sie wollte ihre Schwester nicht noch mehr aufregen und
rannte den Hügel zum vorderen Gebäude hinauf, wo die Kutsche auf sie wartete.
Christabel sah ihr nicht hinterher. Sie hatte den Kopf gesenkt und starrte auf
die Entenküken, die fröhlich schnatternd zu ihren Füßen herumwatschelten.
Alanas
Augen waren rot und geschwollen, als die Kutsche am Washington Square anhielt.
Sie kümmerte sich nicht erst um das Durcheinander, das ihre baldige Hochzeit
ausgelöst hatte, sondern ging in ihr Zimmer und schloß sich dort ein, ohne
irgend jemanden an sich heranzulassen. Sie versuchte verzweifelt, sich
aufzuheitern. In der Vergangenheit war ihr das immer auf die eine oder andere
Art gelungen, aber diesmal bezweifelte sie, daß sie jemals wieder würde
lächeln können. Die Tränen flossen, sobald sie an Christal dachte.
Christals
Schicksal hatte sie immer wieder aufs neue berührt, aber dieses Mal war etwas
in ihr zer brochen, und nun hielt ihr Schutzschild nicht länger. Vielleicht
lag es an der Belastung und der Anspannung der letzten Tage, vielleicht auch
an dem Schrecken der morgigen Zeremonie, aber im grunde wußte Alana, daß es
nichts damit zu tun hatte. Es war Christals Verhalten am heutigen Tag, das ihr
das Herz brach. Die Tapferkeit ihrer Schwester, die ihren tiefen,
allesverschlingenden Kummer verbergen sollte, trieb Alana die Schamesröte für
jede Sekunde ins Gesicht, die sie in Selbstmitleid geschwelgt hatte. Ihre
Sorgen, selbst diese erzwungene Heirat mit Sheridan, erschien ihr nun so
lächerlich verglichen mit Christabels Leid.
Als
Weitere Kostenlose Bücher