Medaillon des Schicksals (German Edition)
einige Strohhalme aus den Haaren.
»Ich fühle mich zu dir hingezogen wie zu einer Schwester«, sagte sie leise. Dann beugte sie sich über Rosaria, küsste behutsam deren Stirn, stand auf und verschwand so leise, wie sie gekommen war.
Den Trank der Amme hatte sie zurückgelassen. Jetzt, als Rosaria wieder allein war, spürte sie das Fieber mit ganzer Kraft über sie kommen.
Sie nahm das Fläschchen, entkorkte es und roch daran. Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.
»Mohnsamen«, murmelte sie leise. »Mohnsamen und ein wenig Stechapfel in einer alkoholischen Lösung. Ich hätte wohl einen ähnlichen Trank gebraut.«
Dann trank sie das Fläschchen aus und sank bald darauf in einen tiefen, traumlosen Schlaf, der wohl ihr letzter sein sollte.
Als sie die ersten Hähne krähen hörte, wusste Rosaria, dass ihr nur noch sehr wenig Zeit auf dieser Erde blieb.
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19. Kapitel
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Giacomo hatte sich seit seinem überstürzten Aufbruch von der Burg nur sehr wenige Pausen gegönnt. Getrieben von der Angst um Rosaria, getrieben auch, um zu erfahren, was sich damals bei ihrer Geburt wirklich zugetragen hatte, ritt er von Dorf zu Dorf und von Weiler zu Weiler. Überall fragte er nach der Kolonne aus Lucca, doch die meisten Leute schüttelten nur mitleidig den Kopf und boten Giacomo einen Becher Wasser oder ein Stück Brot.
Doch Giacomo hatte keine Zeit für eine lange Rast. Er aß einen Bissen, dann ritt er weiter. Ruhepausen gönnte er nur seinem Pferd. Er selbst schlief nicht, sank nur hin und wieder in einen Dämmerzustand, doch auch im Halbschlaf verfolgte ihn die Angst um Rosaria.
Endlich traf er auf einen Reiter, dem die Kolonne begegnet war.
»Ja, die Leute aus Lucca sind ganz in der Nähe. Einen halben Tagesritt in Richtung Sienna.«
Giacomo gab seinem Pferd die Sporen und erreichte die Kolonne tatsächlich beim Anbruch der Nacht.
Die Gaukler und Händler hatten ein Feuer entzündet und saßen darum herum, doch von der sonst üblichen Fröhlichkeit fehlte jede Spur.
Sie dachten an Rosaria und an Raffael, von denen sie nicht wussten, wo sie waren und wie es ihnen ging. Viele Gebete hatten sie schon zum Himmel geschickt, doch keine Nachricht hatte sie bisher erreicht.
Als Giacomo sich dem Feuer näherte, kam Leben in die Truppe. Etliche von ihnen waren ja auf der Burg di Algari gewesen und hatten die Ereignisse dort verfolgt.
Die Frau des Feuerschluckers, Raffaels Mutter, sah ihn zuerst.
Sie stand auf, ging dem erschöpften Mann entgegen und führte ihm zum Feuer.
»Wie geht es Rosaria und Raffael?«, wurde er von allen Seiten gefragt, doch die Feuerschluckerin gebot Einhalt.
»Seht ihr nicht, wie erschöpft der Mann ist? Lasst ihn essen und trinken, dann soll er erzählen.«
Sie reichte Giacomo einen Becher Wein und eine Schüssel Suppe. Erst jetzt bemerkte der junge Conte, wie hungrig und durstig er war. Es dauerte nicht lange, da waren Becher und Schüssel leer. Er wischte sich den Mund ab, dann sah er in die Runde.
»Erzählt!«, forderten mehrere gleichzeitig.
»Ich habe leider keine Neuigkeiten für Euch. Rosaria und Raffael sind auf der Flucht vor der Inquisition. Ich bin auf der Suche nach ihnen. Mehr weiß ich auch nicht.«
Die Gaukler nickten und schwiegen bedrückt. Sie sahen ins Feuer, als wüssten die Flammen, was mit den beiden Flüchtlingen gerade geschah.
Ambra, die Wahrsagerin, kam und setzte sich neben Giacomo.
»Ihr liebt Rosaria, nicht wahr?«, fragte sie.
Giacomo nickte und sah die alte Frau an. Er begegnete ihrem Blick und hatte das Gefühl, dass ihre gütigen Augen schon alles auf der Welt gesehen hatten und es nichts mehr gab, das sie noch erschrecken konnte.
»Sie ist meine Schwester«, murmelte er. »Es ist Sünde, seine Schwester so zu lieben, wie ich es tue.«
Ambra nickte und fragte: »Ihr wisst nicht, was geschah, als Rosaria und Ihr geboren wurdet?«
»Nein.« Giacomo schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Ahnung. Meine Mutter ist in der Nacht meiner Verlobung ergraut, doch auch sie hat mir nur erzählt, dass Rosaria ihre Tochter ist. Sie trägt das Medaillon der Familie meiner Mutter. Ihr habt es sicher gesehen.«
Ambra nickte.
»Ja, ich kenne es, dieses Medaillon des Schicksals. Paola, ihre Ziehmutter, gab es ihr in der Nacht, als sie starb. Doch das Geheimnis des Medaillons nahm sie mit ins Grab.«
»Kennt Ihr es, dieses Geheimnis?«
Wieder nickte Ambra und sah in die Flammen.
»Erzählt es mir, bitte. Ich muss wissen, was in jener Nacht geschah. Es
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