Medaillon des Schicksals (German Edition)
konnten.
Aber noch war es nicht so weit. Noch war von den Hauptbeteiligten des Festes weder etwas zu hören noch zu sehen.
Rosaria dachte an Giacomo, den Sohn des Hauses, dem sie noch nicht begegnet war. Warum hielt er sich fern von seiner Braut? Stimmte es wirklich, dass er sie nicht liebte? Aber warum heiratete er sie dann? Sie selbst konnte an der Kaufmannstocher Isabella Panzacchi nichts Liebenswürdiges entdecken. Hochmütig war sie, bis zum Erbrechen eitel und über die Maßen dumm.
Kein Wunder, dass Giacomo die letzten Stunden seiner Freiheit wahrscheinlich ausgiebig genoss, ehe er sich unter die Fuchtel seiner herrschsüchtigen Braut begab.
Doch merkwürdig war sein Verschwinden schon. Aber was war auf dieser Burg denn normal?
Zu gern hätte Rosaria den Mann kennen gelernt, von dem hier alle schwärmten. Sie erinnerte sich an Darias Worte über ihren Bruder: »Er ist ein Kind, das im Lachen gezeugt wurde. Wenn ich mir auch nicht vorstellen kann, wie ... Aber Tatsache ist, dass Giacomo voller Freundlichkeit und Heiterkeit steckt. Schwermut und Melancholie sind ihm fremd.«
Wo aber war er, dieser angeblich so attraktive und angenehme junge Mann?
Rosaria bemerkte erst jetzt, dass die Sonne am Himmel ihren höchsten Punkt erreicht hatte und ihr das zarte Gesicht zu verbrennen drohte.
Sie stand auf und ging hinter der Burg ein paar Schritte spazieren, ehe auch sie sich für das Fest umkleidete. Sie würde heute Abend singen – Lieder der Liebe und Lieder der Sehnsucht. Und ihr Kleid musste gut zu ihrem Vortrag passen. Rosaria hatte nur drei Kleider. Heute wählte sie ein lavendelfarbenes Gewand, welches ihren Busen eng umschloss und darunter in weichen Wellen bis auf den Boden fiel. Sie verzichtete auf jeglichen Schmuck und ließ auch ihr langes, wildes Haar einfach und ohne jeglichen Zierrat über die Schultern wallen. Sie schminkte sich nicht und strahlte doch mit ihrer natürlichen Schönheit heller als die Sonne. Einzig das Medaillon trug sie um den Hals, doch so, dass niemand es sehen konnte, denn Rosaria schützte an so heißen Tagen wie diesem die helle Haut ihres Ausschnitts durch ein Brusttuch aus zartem Gewebe, das in der Farbe um einen Ton dunkler war als ihr Kleid.
Der Lärm, der bis in ihre Behausung drang, zeigte an, dass sowohl die Teilnehmer des Turniers als auch die Bewohner der umliegenden Ortschaften eingetroffen waren, die als Claqueure dem Spektakel beiwohnen durften.
Jetzt hielt auch Rosaria nichts mehr in der dunklen Kammer. Sie lief hinaus und gesellte sich zu Raffael und seiner Familie, die im Gegensatz zu den Musikern noch nichts zu tun hatten und erst am Abend ihre Vorstellung darbieten würden.
Trompetenstöße erklangen, und durch das Tor ritten die Turnierteilnehmer: Adlige aus den umliegenden Besitzungen. Mit jedem neuen Teilnehmer, der auf dem Burghof erschien und sein Pferd, seine Rüstung, die Fahne und das Familienbanner vorstellte, schwoll das Rufen der Menge an. Ja, die Toskaner verstanden zu feiern. Besonders deutlich wurde das, als endlich Giacomo di Algari auf einem braunen Hengst das Burgtor durchschritt. Die Menge brach in »Vivat! Vivat!«-Rufe aus und demonstrierte einmal mehr die Beliebtheit des jungen Conte.
Rosaria reckte den Hals, doch sie konnte Giacomos Gesicht nicht erkennen, denn das Banner, welches er in der Hand trug, verdeckte den größten Teil seiner Statur.
Die Teilnehmer durchritten in einem Kreis den gesamten Burghof und stellten sich schließlich auf, um der Königin des Turniers, Isabella Panzacchi, ihre Ehrerbietung zu erweisen. Da öffnete sich das Tor zur Burghalle, und heraus schritt Isabella, angetan mit einem Kleid aus dunkelroter Seide, gefolgt von ihren beiden Kammerfrauen, die sie aus Florenz mitgebracht hatte. Als Isabella den ersten Schritt auf den Burghof tat, öffneten sich alle Fenster der Burg und ließen einen Blütenregen auf die schöne Florentinerin niedergehen.
Huldvoll nahm Isabella diese Ehrerbietung entgegen, huldvoll setzte sie sich unter dem blauen Baldachin, und huldvoll nickte sie den Reitern zu.
Da erklang der nächste Fanfarenstoß, und die Contessa di Algari erschien am Arm ihres Mannes auf dem Burghof. Auch sie wurden mit Jubel empfangen, wenngleich lange nicht so frenetisch wie die Turnierteilnehmer. Ein jeder wusste, dass die Rufe einzig der Contessa galten, und auch sie schien darum zu wissen, denn sie verschenkte ihr seltenes Lächeln heute geradezu verschwenderisch nach allen Seiten.
Ein dritter
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