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Medaillon des Schicksals (German Edition)

Medaillon des Schicksals (German Edition)

Titel: Medaillon des Schicksals (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Thorne
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Müdigkeit. Ohne nach einer geschützten Stelle zu suchen, ließ Rosaria sich auf die Seite sinken, lag da wie ein Säugling und fiel in einen tiefen Schlaf der Erschöpfung.
     
    Zur gleichen Zeit irrte Giacomo durch die nächtliche Toskana. Er hatte viele Stunden am Rande eines Weinberges gesessen und nachgedacht. Rosaria war also seine Schwester. Und eine Schwester durfte man nicht so lieben, wie er Rosaria liebte. Er musste sich diese Liebe aus dem Herzen reißen, so weh es auch tun mochte. Aber wie stellte man das an?
    Lange grübelte Giacomo hin und her, doch eine Lösung fand er nicht.
    Ein alter Mann, ein Weinbauer, kam, um nach seinen Trauben zu sehen. Sein faltiges, von der Sonne gegerbtes Gesicht sah aus wie Stiefelleder, doch seine braunen Augen blickten gütig in die Welt.
    »Gott zum Gruße«, sagte er, als er Giacomo dort sitzen sah.
    Er hockte sich neben ihn und schwieg. Doch in diesem Schweigen lag etwas Tröstliches. Nach einer ganzen Weile erst kramte er in einem Beutel und reichte Giacomo noch immer wortlos einen Kanten Brot und ein Stück Käse.
    Dankbar nahm Giacomo die Gaben an und merkte erst jetzt, wie hungrig er war.
    »Ihr seid sehr gütig. Vielen Dank«, sagte er.
    Der Alte nickte.
    »Ich habe vor vielen, vielen Jahren auch einmal stundenlang hier am Weinberg gesessen«, sagte er. »Unter den dunklen Weinblättern und den schwarzen Wurzelstöcken sind die Gedanken heller als anderswo.«
    Er nahm einen Schlauch Wein aus seinem Beutel, trank einen kräftigen Schluck daraus und reichte ihn an Giacomo weiter.
    »Hattet Ihr damals auch ein Problem, für das es keine Lösung gab?«, fragte Giacomo.
    Der Alte nickte.
    »Und habt Ihr es hier gelöst, das Problem?«
    Der Alte lächelte.
    »Ich saß hier, genau wie Ihr. Da kam eine alte Frau vorbei, ein Kräuterweiblein, setzte sich neben mich und teilte mit mir Brot, Käse und Wein. Dann erzählte sie mir eine Geschichte, die ich Euch jetzt weitererzählen werde, wenn Ihr wollt.«
    »Sehr gern«, erwiderte Giacomo.
    Und der Alte begann zu erzählen: »Vor langer, langer Zeit gab es im weiten Meer eine Insel, auf der alle Gefühle der Menschen lebten: die gute Laune, die Traurigkeit, der Stolz, das Wissen und natürlich auch die Liebe.
    Eines Tages wurde den Gefühlen mitgeteilt, dass die Insel zu sinken drohe. Die Gefühle bereiteten ihre Schiffe vor, um sich eine andere Heimat zu suchen, und verließen die Insel. Nur die Liebe hatte bis zum letzten Augenblick gewartet. Bevor die Insel endgültig im Meer versank, bat die Liebe die anderen Gefühle um Hilfe.
    Der Reichtum fuhr auf einem prächtigen Schiff mit geblähten Segeln vorbei.
    Die Liebe fragte ihn: ›Reichtum, kannst du mich mitnehmen?‹
    Der Reichtum antwortete: ›Nein, Liebe, ich kann dich nicht mitnehmen. Mein Schiff ist schwer mit Gold, Silber und Edelsteinen beladen. Hier ist kein Platz für dich.‹
    Die Liebe fragte den Stolz, der auf einem erhabenen Schiff an ihr vorüberfuhr. ›Stolz, kannst du mich mitnehmen?‹
    ›Nein‹, erwiderte der Stolz. ›Ich kann dich nicht mitnehmen. Auf meinem Schiff ist alles an der richtigen Stelle. Nichts fehlt, alles ist in Ordnung. Du, Liebe, könntest etwas kaputtmachen oder alles durcheinander bringen.‹
    Da fragte die Liebe die Traurigkeit. ›Traurigkeit, kannst du mich mitnehmen?‹
    Die Traurigkeit erwiderte: ›Ich bin so traurig, dass ich unbedingt allein bleiben muss. Ich kann dich deshalb nicht mitnehmen.‹
    Als Nächstes fuhr das Schiff der guten Laune vorüber. Auf dem Deck spielte die Musik, die gute Laune sang dazu. Sie sang so laut und war so zufrieden, dass sie gar nicht hörte, wie die Liebe nach ihr rief.
    Plötzlich aber vernahm die Liebe eine Stimme.
    ›Ich kann dich mitnehmen.‹
    Es war ein Alter, der das sagte.
    Die Liebe bestieg das Schiff und war so dankbar und glücklich, dass sie vergaß, den Alten nach seinem Namen zu fragen. Als das Schiff an Land ging, verschwand auch der Alte, und die Liebe entdeckte, dass sie ihm viel zu verdanken hatte.
    Sie fragte das Wissen: ›Wissen, weißt du, wer mir geholfen hat?‹
    Das Wissen nickte. ›Es war die Zeit.‹
    Die Liebe fragte weiter: ›Warum hat mir die Zeit geholfen?‹
    Das Wissen lächelte. ›Weil nur die Zeit versteht, wie wichtig die Liebe im Leben ist.‹«
    Der alte Mann verstummte und klopfte Giacomo leicht auf die Schulter. Dann stand er auf und ging wortlos davon. Giacomo starrte ihm hinterher. Erst als der Mann schon hinter einer Biegung verschwunden

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