Meeres-Braut
mit der Maske des schwarzen Todes? Das ist er. Ja, ich glaube, das ist er. Weißt du, mein erster, mein zweiter und mein dritter Mann waren alles Witwer, als ich sie heiratete, daher kann ich den Typ empfehlen. Ein Oger wird normalerweise nicht zum Witwer, wenn er seine Ogerin nicht ziemlich hart anfaßt, das ist ja wohl klar. Also ist er für dich genau der Richtige.«
Okra wich ein Stück zurück und blickte um sich, war wie versteinert von einem kleinen Stück Ekel und einer großen Portion Furcht. Kurz bevor sie in Ohnmacht fiel, hatte sie eine Vision von einer großen grauen Stadt, in der sich steinerne Wasserspeier scharten.
Glücklicherweise glaubte Tante Fanny, daß sie Okra mit einem unbeabsichtigten Hieb ihrer Bratpfannenhand zu Boden geschlagen hatte, und merkte nicht, wie unogerhaft sensibel und schwach Okra in Wirklichkeit war. Fanny machte sich daran, die Eheschließung in die Wege zu leiten. Doch keiner der Spitzenkandidaten interessierte sich für Okra; sie wandten mit einiger Berechtigung ein, daß sie zu klein und dürr war, um allzuviel Prügel zu ertragen, und außerdem sah sie so unscheinbar aus, daß es schon fast widerlich war; ferner gab es da noch den häßlichen Verdacht, daß sie in Wirklichkeit gar nicht so dumm war, wie sie vorgab. So verstrich ein weiteres Jahr, bis ein geeigneter Kandidat in Frage kam: Trümmer, ein Oger aus dem fernen Oger-fen-Oger, der Okra noch nie gesehen hatte und daher ihre Mängel nicht kannte. Er machte sich sogar auf den Weg, um sie kennenzulernen, doch unterwegs gab es viele Ablenkungen, beispielsweise Bäume, die noch nicht zu Brezeln verschnürt worden waren, und kleine Drachen, denen noch niemand ordentlich das Fürchten beigebracht hatte. So kam er nur langsam voran, weil er natürlich tat, was der Natur eines Ogers eben entsprach: die Welt entlang seines Wegs in ogerhafte Ordnung zu bringen. Wenn er erst einmal eingetroffen war, würde er für Okra dasselbe tun, jedenfalls hofften das alle inbrünstig, denn ihr Bedürfnis war offensichtlich groß.
Als das Blut kurz nach Okras vierzehntem Geburtstag am Mond klebte – es gab diesmal keine Feier, weil sie inzwischen viel zu langzahnig geworden war, um noch verheiratet werden zu können, geschah das dritte große, häßliche Ereignis in Okras Leben. Ihre für Ogerverhältnisse gütigen Großeltern verschwanden und ließen sie in der Obhut ihres Onkels Marzipana Giganta la Cabezudos fen Oger und seiner krötenähnlichen Vorarbeiter Stumpfnuß und Große Blaunase zurück. Marzipana war ein Prachtexemplar von einem Oger; er liebte es, Nadeln in lebende Schmetterlinge zu pieken und sie als Kopfschmuck zu tragen. Jedesmal, wenn er unter einem schwierigen Gedanken litt, erhitzte sich sein überanstrengtes Gehirn im Kopf und das Schmalz schmolz, doch das war kein Problem. Denn er gab sich nur selten mit schwierigen Gedanken ab, während es recht leicht war, neue Schmetterlinge einzufangen.
Okra wußte, daß immer wieder Kreaturen verschwanden. Oger taten alle möglichen dummen Dinge, beispielsweise im Eiltempo durch langatmige Versammlungen zu preschen oder von Steilklippen loszurennen, und meistens hörte man danach nie wieder etwas von ihnen. Niemand dachte sich etwas dabei, außer Okra, die nun eine neue Eigenart ihres Wesens kennenlernen mußte: die Fähigkeit zu trauern. Sie vermißte ihre Großeltern, und der Gedanke daran, daß ihnen etwas Schlimmes zugestoßen sein könnte, bereitete ihr Schmerz. Natürlich behielt sie diese Gefühle für sich, was wiederum ihrem Hauptmangel zuzuschreiben war: der Intelligenz.
Weil sie nicht schlafen konnte, zog Okra bei Nacht durch die klammen Kammern und düsteren Tunnels ihrer heimatlichen Höhlen. Auf einem dieser trübseligen Ausflüge belauschte sie zufällig ihren Onkel Marzipana und seine Vorarbeiter beim Gespräch. Offenkundig hatte jemand den Oger-fen-Oger-Oger dabei beobachtet, wie er kleinen Drachen frisch angefertigte Brezelbaumstämme um die Ohren haute, so daß er nun jeden Tag am Ogersee erwartet wurde. Sie befürchteten, daß er einen Rückzieher machen könnte, wenn er Okra erblickte. Daher schmiedeten sie den Plan, einen versteinerten Kürbis zu einem Ogergesicht zu schnitzen, um ihn Okra auf den Kopf zu rammen, damit sie etwas häßlicher aussah, als sie in Wirklichkeit war, jedenfalls bis die Hochzeit vollzogen war. Danach würde es natürlich keine Rolle mehr spielen; dann würde der Oger ihr schon die Haare ausreißen und ihren wirklichen
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