Meeres-Braut
hauchte Gwenny. »Ich hoffe, das ist nicht…«
»Fracto!« beendete Jenny ihren Satz, und ihr Entsetzen spiegelte Gwennys wider.
»Das ist er nicht«, meinte Che. »Das ist nur eine ganz gewöhnliche Cumulus-humilis-Wolke. Die tun niemandem etwas Böses. Sie sind nur neugierig, was an Land so los ist.«
»Spaßliebend?« fragte Jenny. »Ich bin mir nicht sicher, ob wir Wolkenwitze ebenso komisch fänden.«
Che lächelte. »Humilis wie Humilitas, Bescheidenheit, nicht wie in humorvoll. Kein Witz.«
Gwenny spürte, wie ihre Knie wieder vor Erleichterung weich wurden.
»He, mach mal deine Knie etwas steifer«, sagte Jenny mahnend, als sie zurückblickte. »Die sehen ja aus wie Brotteig.«
»Nudelteig«, berichtigte Gwenny sie.
Dann konzentrierte sie sich darauf, sie zu versteifen, und konnte ihren Marsch wieder aufnehmen.
Als sie sich dem oberen Spaltenrand näherten, ging der Tag seinem Ende zu. Oben war es zwar immer noch hell, doch die Tiefen der Spalte lagen im zunehmend dunkler werdenden Schatten, so daß sie nicht mehr bis zum Boden hinuntersehen konnten. Gwenny war froh, daß sie die Spalte jetzt verließen und nicht erst hineinstiegen. Sie war sehr düster, obwohl sie wußte, daß dort unten keine allzu großen Gefahren mehr auf sie lauerten. Es sei denn, sie stürzten in die Tiefe.
Sie erschauerte und hielt den Blick auf den vor ihr liegenden Weg gerichtet.
Endlich waren sie am Ziel. Sie ließen den Spaltenrand ein gutes Stück zurück, dann sackten sie zu Boden, schwach vor Erleichterung.
»Ich bin froh, daß ich kein Erwachsener bin«, meinte Che. »Denn dann hätte ich das alles durchmachen müssen, ohne Angst empfinden zu dürfen.«
»Möglicherweise sind wir eigentlich schon Erwachsene«, erinnerte Gwenny ihn. »Vergiß nicht, daß man uns in die Erwachsenenverschwörung eingeweiht hat.«
Jenny lachte. »Das ist genau wie die Spalte! Tief und dunkel und ermüdend, aber wenn man erst einmal unten angekommen ist, gibt es kaum etwas zu sehen.«
Da lachten sie alle; andererseits lag zuviel Wahrheit in diesen Worten, um es allzu lange zu tun.
Schließlich ließen sie sich von Sammy den besten Platz für ihr Nachtlager suchen und schmausten von der wunderbaren Vielzahl von Pasteten, die in diesem Gebiet wuchsen. Ja, sie entdeckten sogar ein altes Zelt, das von Zeltraupen zurückgelassen worden war. Es war ein hervorragender Schlafplatz, weil es völlig aus Seide bestand, mit einer Schutzschicht am Boden, um die Insekten abzuhalten, und seidenen Hängematten, die an den Ästen der neben dem Zelt stehenden Bäume befestigt waren.
So schliefen sie halbwegs bequem, was sie nach diesem anstrengenden Tagesmarsch auch wirklich nötig hatten.
Gwenny bekam keinen der Träume der anderen mehr zu sehen, weil sie ebensoschnell einschlief wie diese und in einen Schlaf versank, der beinahe so tief wie die Spalte war. Möglicherweise sank sie sogar unter die Traumschwelle, weil sie sich am nächsten Tag an keine Träume mehr erinnern konnte.
Am Morgen machten sie die Entdeckung, daß ihr Zelt ganz in der Nähe eines Dorfs stand. »Das ist wohl das Spaltendorf«, sagte Che, nachdem er sein Gedächtnis bemüht hatte. »Ich glaube, im Osten liegt auch noch ein Kobolddorf, falls du gern…«
»Nein, ich denke nicht, aber trotzdem, vielen Dank«, erwiderte Gwenny hastig. »Das wird mit Sicherheit von Koboldmännern geführt, und du weißt ja selbst, wie die sind.«
»Ja, das weiß ich leider, ohne beleidigend sein zu wollen.«
»Aber wenn Gwenny erst einmal Häuptling geworden ist, wird sich das alles ändern«, meinte Jenny fröhlich. »Denn eigentlich sind sie gar nicht so schlimm, wenn sie richtig geführt werden.«
Gwenny mußte lächeln. »Ich muß zugeben, daß mir der Gedanke nicht sonderlich behagt, in den Koboldberg zurückzukehren.« Das war wirklich die Untertreibung des Jahres!
»Wir sind ja da, damit dein Unbehagen nicht noch größer wird«, antwortete Che.
»Oh, das schafft ihr ja auch!« rief Gwenny. »Laßt mich euch umarmen!« Und so umarmte sie sie nacheinander, so froh war sie, beide bei sich zu haben.
»Miau«, machte Sammy.
»Ja, dich natürlich auch!« willigte Gwenny ein. Sie nahm den Kater auf, umarmte ihn vorsichtig und küßte seinen Bart.
Dann beendeten sie ihre Geschäfte und machten sich auf den Weg zum Spaltendorf. Das war sehr klein, und die Leute dort schienen nicht allzu neugierig auf sie zu sein, obwohl es bestimmt nicht jeden Tag vorkam, daß eine Elfe, eine
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