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Meerestosen (German Edition)

Meerestosen (German Edition)

Titel: Meerestosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schröder
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den Chamäleon-Effekt verzichten müssen, und das machte ihn verwundbar.
    »Ich werde es tun«, murmelte ich, während ich Rubys Hand drückte. »Ich werde Kyan töten.«

Es war ein seltsames Gefühl. Ein schreckliches. Und es gelang mir auch nicht, in irgendeiner Weise Kraft daraus zu schöpfen.
    Hätte mir jemand zu Anfang dieses Jahres gesagt, dass ich nicht einmal sechs Monate später beschließen würde, jemanden umzu bringen, hätte ich wahrscheinlich nicht gewusst, ob ich herzhaft darüber lachen oder ihn für komplett verrückt erklären sollte. Und jetzt war es plötzlich nüchterne Realität.
    »Es ist okay«, sagte Ruby. Sie erwiderte den Druck meiner Hand, indem sie meine Finger beinahe zerquetschte, und sie zitterte am ganzen Körper. »Du hast doch gar keine Wahl. Außerdem hat er nun schon dreimal versucht, dir etwas anzutun. Es ist also reine Notwehr.«
    Genau genommen war es sogar mehr als das. Und trotzdem: Jemanden im Kampf zu besiegen, war das eine, jemanden gezielt töten zu wollen , etwas vollkommen anderes.
    Ich konnte nur hoffen, dass ich am Ende nicht doch Angst vor der eigenen Courage bekam. Oder viel besser: dass Gordy und Kirby einen ganz ähnlichen Plan gefasst hatten und mir in letzter Sekunde zuvorkamen. Bei ihnen bestand immerhin noch die minimale Chance, dass sie Kyan nicht töten mussten, sondern es irgendwie schafften, ihn zum Einlenken zu bewegen. Wenn nicht ohnehin schon alles zu spät war, weil Kyan es bereits gelungen war, eine große Allianz aufzubauen, womöglich sogar mithilfe der Chamäleons. Aber daran mochte ich im Moment gar nicht denken.
    »Ruby, wir müssen beten, dass Kyan nicht schon bei seinem jetzigen Landgang weitere Delfinnixe mitgenommen hat und er außer Zak nach wie vor der Einzige ist, der eine Allianz anführen kann«, sagte ich beschwörend. »Denn nur dann hat mein Vorha ben überhaupt einen Sinn.«
    Trotzdem wäre es in jeder Hinsicht besser, wenn Gordian und Kirby diesen Job erledigten, und allmählich rotierte die Frage, wa rum sie es nicht schon längst getan hatten, wie ein quälender, alles andere verdrängender Geist durch meinen Kopf.
    Gordy ist nicht tot, das sagte ich mir wieder und wieder. Er durfte einfach nicht tot sein. Und Janes unheilvolle Äußerun gen und meine apokalyptischen Träume hatten im Grunde auch nichts zu bedeuten. Sie waren nur Ausdruck meiner schlimmsten Befürchtungen. So zumindest versuchte ich mich zu beruhigen, und Ruby tat das Ihrige, um mir Mut und Zuversicht zu vermit teln. Dabei war mir natürlich klar, dass auch sie vor Angst um mein Leben beinahe umkam.
    Aber es war gut, den Rest des Tages mit ihr auf dem Sofa und im Garten zusammenzuhocken, über das Vergangene zu reden und sich gegenseitig zu trösten oder aufs Meer hinauszuschauen, sich alles Ungewisse schönzureden und eine friedvolle Zukunftsvision heraufzubeschwören. Es war realitätsfern und bar jeder Vernunft, doch es war notwendig, damit ich den Mut nicht verlor und aufs Neue in ein schwarzes Loch gerissen wurde.
    Eine gute Ablenkung waren auch die beiden Telefonate, die ich abends mit Sina und meiner Mutter führte. Irgendwie bekam ich es hin, mir ihnen gegenüber nichts von meinen Sorgen anmer ken, sondern mich von ihren Ideen und Plänen in eine andere – bunte, fröhlichere – Welt hinüberziehen zu lassen.
    Sina hatte bereits angefangen, eine Liste von Unternehmungen zusammenzustellen, die wir von Gotland aus unbedingt machen sollten. Ein Ausflug auf eine kleine finnische Inselgruppe und ein dreitägiger Aufenthalt auf dem schwedischen Festland gehörten ebenso dazu wie die Teilnahme an den mittelalterlichen Spielen in Visby und eine Wanderung zu den beeindruckenden Kalkmonolithen auf der Nachbarinsel Farö.
    Mam hatte einen recht gut bezahlten Teilzeitjob in einem Fisch restaurant am Hafen aufgetan. Für den Herbst plante sie eine Aus bildungseinheit bei ihrer Yogalehrerin, die dringend eine Assis tentin suchte. Außerdem hatte sie begonnen, die Wohnung zu renovieren, die Möbel umzustellen und die gesamte Einrichtung mit ein paar neuen Accessoires aufzupeppen.
    »Ich habe zwar noch immer keine Ahnung, was ich vom Leben will«, erklärte sie. »Aber es macht mir unheimlich viel Spaß, unter Menschen zu sein.«
    »Die Veränderung scheint dir jedenfalls gutzutun.«
    »Ach, Elodie, mein Schatz«, gab sie seufzend zurück. »Du und dein Pa, ihr fehlt mir ganz schrecklich. Mein Herz hätte euch am liebsten auf der Stelle hier bei mir und das alte Leben

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