Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meerhexe

Meerhexe

Titel: Meerhexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irma Krauss
Vom Netzwerk:
weißen Gesicht des Prinzen mittendrin; das drücke ich unters Wasser, aber es kommt immer wieder hoch, zuletzt ist es der große Hintern von Frau Nacktarsch.
    Mir ist seltsam beim Aufwachen, irgendetwas schnürt mir die Brust zu. Wie kann ich den Prinzen ertränken wollen? Und warum hat sich sein Gesicht dabei auch noch in so was Scheußliches verwandelt??

Von einem Lächeln, das tausend Kilometer weit reicht

    Mein Vater und ich hängen am Flughafen rum. Die Maschine aus Paris ist längst gelandet, aber die Passagiere hinter der Glaswand warten noch auf ihr Gepäck. Vor zwei Tagen hat uns meine Mutter ihre Ankunft mitgeteilt und bei der Gelegenheit auch erwähnt, dass Kenneth am Ende der Tournee nach England fliegen wird. Also heute.
    Ken ist in England, yippie! Da gehört er hin. So nett er ist, wirklich. Da gibt’s Plumpudding gratis, von seiner Mami. Der soll seine Finger von meiner lassen.
    Vor uns stehen eine Menge Leute und wir haben noch nicht mal eine Haarspitze von meiner Mutter gesehen. Wir sind keine Riesen, mein Vater und ich.
    Es gibt Gelegenheiten, bei denen es günstig ist, noch nicht zu den Erwachsenen zu zählen. Einem Kind verzeiht man eher, wenn es sich durch die Menge zwängt. Ich blinzle meinem Vater zu, mache mich kleiner, als ich bin, und tauche zwischen zwei Ellbogen vor mir durch. Leider bin ich, wie man weiß, nicht gerade dünn und kriege deswegen einige hübsche Knüffe ab. Aber ich schaffe es bis ganz nach vorn.
    Ich gucke mir die Augen aus. Da ist das Gepäckband, Leute warten davor, nur meine Mutter nicht. Sie steht auch nicht in einem der Grüppchen von Reisenden, die sich voneinander verabschieden. Und nicht bei denen, die forschend in meine Richtung durch die Scheibe schauen und ihre Angehörigen suchen.
    Ich werde langsam nervös. Da entdecke ich sie. Drüben lehnt sie an der Wand, schlank und schön, ganz allein, und schaut nach draußen zu den Rollbahnen.
    Ich sehe ihr Profil. Das Unheimliche ist, dass sie lächelt. Sie lächelt wie jemand, der unsagbar traurig ist.
    Hier, Mama!, möchte ich rufen. Hier bin ich, hier sind wir!
    Aber das weiß sie ja eigentlich, sie müsste nur den Kopf ein wenig drehen. Ich frage mich, was sie sieht. Nicht viel mehr wahrscheinlich als ich von hier aus. Wartende Maschinen, Bodenfahrzeuge, einen Flieger, der langsam zur Startbahn rollt. Und den Himmel bis an den Horizont.
    Und da weiß ich es plötzlich. Meine Mutter schaut nach England. Denn das liegt irgendwo in der Richtung.
    Es fährt mir wie ein Stich durch die Brust. Richtig weh tut das. Ich denke an meinen Vater, der sich dahinten die Augen ausguckt. Der den ganzen Samstagvormittag das Haus geschrubbt hat, der mit mir zusammen einen Kuchen gebacken und ein Gratin vorbereitet hat. Der heute nur von Kaffee gelebt und außerdem zwei Dauerläufe absolviert hat. »Eineinhalb Kilo!«, hat er gejubelt, als er von der Waage stieg.
    Und jetzt lächelt meine Mutter in Richtung England.
    Ich beiße mir die Unterlippe wund. Gut, dass mein Vater kein Kind ist und sich nicht nach vorn drängen konnte. Wirklich, verdammt! Das soll er nicht sehen!

    Meine Mutter benimmt sich ganz normal. Strahlt, lässt sich die Reisetaschen abnehmen und küsst uns zur Begrüßung, meinen Vater etwas länger als mich. Was daran liegen kann, dass er sie nicht gleich wieder loslässt. Ich beobachte seine Hand auf ihrem Rücken.
    Dann fahren wir fröhlich heim. Ich sitze hinter meinem Vater, damit ich meine Mutter halbwegs von der Seite sehen kann. Sie holt alles nach, was sie sich bei ihren kargen Telefonaten verkniffen hat. Wie die Konzerte waren, das Wetter, das Publikum und die Veranstalter. Die Hotels erwähnt sie auch, die waren alle gut. Kenneth hatte eine leichte Erkältung, aber man hat es nicht gemerkt.
    Sie gebraucht seinen vollen Namen. Es kommt mir vor, als wäre der Kenneth, von dem sie hier redet, ein anderer als Ken, den sie noch kurz zuvor über tausend Kilometer Entfernung hinweg heimlich angelächelt hat (falls ich da nicht Gespenster gesehen habe). Als gäbe es einen Kenneth für die anderen Leute und einen Ken nur für sie ganz allein.
    Ich sage wenig, was nicht weiter auffällt. Denn meine Mutter redet fast pausenlos, sie gestikuliert und lacht. Mein Vater, der den Wagen fährt, sieht oft zu ihr hin, prüfend, aufmerksam, auch lächelnd. Einmal legt er ihr die Hand aufs Bein. Sie verstummt, blickt hinunter und schluckt.
    Dann benützt mein Vater seine Hand wieder zum Schalten, und sie redet weiter, als

Weitere Kostenlose Bücher