Meg Finn und die Liste der vier Wünsche
Stimme des alten Mannes und sprang auf die Füße – Altmännerfüße, platt und breit getreten. Doch der Körper umschloss sie wie ein Taucheranzug und belegte sämtliche Geisternervenzellen. Meg betrachtete die Altersflecken auf ihren Händen, den vergilbten Zopfpullover, der ausgebeult um ihren Arm schlabberte, und drahtige Augenbrauenhaare, die ihr ins Blickfeld hingen.
»Hilfe!«, keuchte sie, und der Schock schnürte Lowrie die Kehle zu. »Helfen Sie mir!«
Meg rannte los. Sie sprintete durch die Wohnung der Seniorenanlage und warf sich gegen die Wände, um sich aus dem altersschwachen Körper zu befreien. Doch es war zwecklos. Sie waren miteinander verwoben wie die Stränge eines Seils.
Auch Lowrie McCall war noch da, ohne Kontrolle über seinen Körper, aber hellwach. Die Wände flogen an ihm vorüber, als hätte er nicht eine riesige Narbe in der Wade. Er spürte, wie das Herz in seiner Brust pochte. Es pochte, ohne zu rasen! Er war wieder jung, mit all der Kraft und Energie der Jugend. Am liebsten hätte er gelacht, aber es ging nicht. Sein Mund gehörte ihm nicht mehr, er hatte die Kontrolle über ihn verloren. Es war, als säße er in einem Ein-Personen-Kino und sähe sein Leben auf der silbrigen Leinwand vorüberziehen.
Sosehr Lowrie es genoss, wieder jung zu sein, sowenig gefiel es Meg, im schlaffen Fleisch eines alten Mannes gefangen zu sein. Sie stürzte durch die Haustür nach draußen auf die kaputten und mit Graffiti besprühten Platten des Weges. Der kalte Regen klatschte ihr auf den nahezu kahlen Schädel. Der Pullover saugte sich voll und baumelte ihr wie ein wollener Rettungsring um die Knie.
Die Lowrie-Meg-Mischung rannte um die Ecken, dass die karierten Pantoffeln nur so gegen seine … ihre … die Fersen schlugen. Plötzlich blieben beide Wesen abrupt stehen. Vor ihnen gab es nichts Außergewöhnliches. Nur einen glänzenden neuen Gastank, leuchtend orange mit Messingarmaturen. Ohne eine einzige Lackblase oder Roststelle.
Meg ließ sich auf den nassen Boden sinken und zog Lowrie mit sich. Wie in einem kosmischen Scherz schienen sich Leben und Tod zu wiederholen. »Ich will nicht alt sein«, schluchzte sie, und Tränen tropften von der Spitze ihrer Hakennase. »Und ich will nicht tot sein.«
Lowrie sagte nichts. Dem war sowieso nicht viel hinzuzufügen. Außerdem empfand er ungefähr dasselbe. Ich auch nicht, dachte er.
Und irgendwie konnte Meg ihn hören. Wie eine Stimme in ihren Gedanken. Ein Kobold in ihrem Kopf. Und das war noch nicht alles. Eine Woge diffuser Erinnerungen und Gefühle überflutete ihre eigenen – Hochzeiten und Begräbnisse, der Schmerz in ihrem Bein und furchtbare Einsamkeit. Sie wollte sie nicht. Nichts davon. Sie war doch erst vierzehn, Himmel noch mal! Sie würde für immer vierzehn sein.
Ich will raus aus diesem Körper, schoss es ihr durch den Kopf. Einfach rausgleiten, so wie ich reingekommen bin. Und genau das tat sie. Wie ein nasses Pflaster löste sie sich ab und plumpste neben dem sich plötzlich erschöpft fühlenden Lowrie McCall auf den Asphalt.
Die Lungen des alten Mannes fiepten wie kurz vorm Platzen, und seine Beine zitterten wie Schilfrohr.
»Eine Sekunde lang …«, keuchte er. »Eine Sekunde lang war ich …«
»Was? Was waren Sie?«, fragte Meg, nur um etwas zu sagen. Die Probleme des alten Mannes interessierten sie nicht die Bohne, sie hatte genug eigene.
Lowrie wischte sich die Regentropfen von der Stirn. »Ich war wieder lebendig.«
Und dann begann er plötzlich zu weinen wie ein Kind. Meg glaubte den Grund zu kennen. Irgendetwas war mit Lowrie McCall nicht in Ordnung. Etwas, das nichts mit Arthritis und zittrigen Beinen zu tun hatte. Als sie in dem alten Mann gesteckt hatte, war ein Gefühl durch ihre Haut – oder was immer sie jetzt stattdessen hatte – gedrungen. Ein Gefühl, das sie an den Tunnel erinnerte.
Das war vermutlich kein gutes Zeichen.
»Kommen Sie«, sagte sie. »Gehen wir wieder hinein. Sie holen sich sonst noch den Tod.«
Tränen vermischten sich mit dem Regen und tropften von Lowries Kinn. »Guter Witz«, erwiderte er, und ein zynisches Lächeln umspielte seine Mundwinkel. »Den Tod holen. Wirklich zum Schreien. Komm, hilf mir auf.«
Meg streckte die Hand aus, zog sie jedoch schnell wieder zurück. »O nein, Opi«, sagte sie. »Für heute reicht’s mir mit dem Körpertausch.«
Der alte Lowrie legte sich ins Bett, überzeugt, unter einer Art verlängerter Halluzination zu leiden. Derweil versuchte Meg,
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