Mehr als nur ein Zeuge
glaube, das hat sich inzwischen gelegt. Alle ihre alten Freundinnen aus der Grundschule – Lauren, Emily, Ashley – sind doch auch in eurer Klasse.«
Ashley! Mit der will ich mich schon in einer Stunde treffen! Ich verabschiede mich von Ellie und flitze los, um ausgiebig zu duschen und die frische Jeans und das T-Shirt anzuziehen, die ich morgens in die Schultasche gestopft habe. Die Zeit reicht gerade noch, um zu Hause Tasche und Sportzeug abzuladen. Ich habe ein bisschen Schiss vor Ashley, deswegen will ich auf gar keinen Fall zu spät kommen.
Zu Hause finde ich Doug vor – ganz toll. Er und Mum suchen in der Lokalzeitung nach Stellenangeboten. Ich renne rein, sage: »Ich treffe mich noch mit Freunden, bis später«, und renne wieder raus. Um fünf vor sechs bin ich in der Einkaufsstraße und gehe etwas langsamer, als Starbucks in Sicht kommt. Ich bin ein bisschen verlegen, als könnte mir Ashley ansehen, was ich mir gestern Abend alles zusammenfantasiert habe.
Sie ist schon da, sitzt auf einem Sofa, in einem blassrosa Top und einem Jeansrock. Sie sieht tausendmal besser |151| aus als in Schuluniform – weicher, hübscher, weniger geschminkt. »Willst du einen Kaffee?«, frage ich. Heute Morgen habe ich mir 20 Pfund aus Mums Geldbeutel geholt. Aber sie schüttelt den Kopf.
»Komm, wir gehen spazieren«, sagt sie. »Hier ist es zu voll.«
Wir schlendern die Straße runter, sehen uns Schaufenster an. Wenn Ashley will, kann sie ziemlich lustig sein. Dann biegt sie in eine Seitenstraße ein.
»Wo willst du hin?«
»In den Park. Der ist im Sommer immer bis um neun offen.«
Park? Ich wusste gar nicht, dass es in dieser Stadt einen Park gibt. Obwohl, jetzt, wo ich drüber nachdenke, fällt mir ein, dass unsere Schule … Parkview heißt. Tolle Leistung, Ty! Ich will aber nicht in den Park, auf keinen Fall! »Abgelehnt«, sage ich und merke sofort, wie gestört ich mich anhöre. »Ich mag nicht in den Park.«
»Wieso denn nicht?«
»Kann ich dir nicht sagen.«
Wir stehen unschlüssig auf der Straße herum. »Jetzt komm schon«, sagt Ashley. »Vor dem Park braucht man keine Angst zu haben.«
Sie nimmt mich an der Hand und wir gehen in den Park.
Der ist größer als unser Park in London, mit mehreren Spielplätzen und einem kleinen Wäldchen. Mehrere Gruppen Kapuzenjacken stehen herum und unten an den Schaukeln sind ein paar Mädchen am Wodkatrinken. |152| Auch einige alte Leute, die ihre Hunde Gassi führen, drehen ihre Runden. Ashley führt mich zu einer Bank, von der aus man über den See schauen kann. Wir sind halb hinter einem Busch verborgen. Noch ungestörter geht es hier kaum.
Sie setzt sich und klopft auf den Platz neben sich. Was soll ich jetzt machen? Den Arm um sie legen?
»So, Joe Andrews«, sagt sie. »Was jetzt?«
Ich lehne mich zurück, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Hoffentlich komme ich einigermaßen lässig und selbstsicher rüber. »Das überlasse ich ganz dir, Ash, du weißt doch sonst immer, was du willst.«
»Gute Antwort«, sagt sie, beugt sich zu mir rüber und küsst mich sehr, sehr sanft auf den Mund.
Wow! Ich muss schon sagen, das war eins meiner tollsten Erlebnisse bis jetzt. Was für ein grandioses Gefühl! Mein ganzer Körper prickelt und knistert wie eine Portion Karatschi-Hühnchen. Oder wie Würstchen in der Pfanne. Vorausgesetzt, das Hühnchen und die Würstchen fühlen sich dabei so wohl wie noch nie zuvor … was natürlich Quatsch ist, weil Lebensmittel gar nichts fühlen … und dann küsst Ashley mich noch einmal.
Ganz cool bleiben, Joe. Joe ist wahrscheinlich schon mit Hunderten von Mädchen zusammen gewesen. Mein Arm legt sich ganz wie von selbst um Ashleys Schultern, und bald sind wir in eine jener Knutschereien vertieft, mit denen Arron immer so angegeben hat. Es wird immer leidenschaftlicher. Zum Glück fällt mir wieder ein, was Arron erzählt hat: dass man durch die Nase atmen, den |153| Unterkiefer locker lassen und an etwas Neutrales denken soll, damit es nicht total mit einem durchgeht.
Mein anderer Arm liegt um Ashleys Taille, meine Hand ist unter den weichen Stoff ihres rosafarbenen Tops geschlüpft. Ich spüre ihre seidige Haut und rieche ihren Kuchenduft … unglaublich, dass ich dieses Mädchen noch vor vierundzwanzig Stunden für eine nervige Bedrohung gehalten habe.
Irgendwann schnappen wir beide nach Luft. »Wow«, schnaufe ich. »Du gehst ja ganz schön ran.«
Sie lacht. »Soll ich vielleicht abwarten,
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