Mehr als nur ein Zeuge
verschwitzt ins Gras plumpsen. »Wir haben gewonnen, wir haben gewonnen!«, kreischt Alex und tanzt um uns rum. Janet kommt mit einer aufgeschnittenen Wassermelone aus dem Haus. Ich sehe mich um und fange Ellies Blick auf. Sie sieht nicht direkt unfreundlich aus.
»Komm doch mal her, Joe«, ruft sie, »und erzähl mir, wie es mit dem Training läuft.«
»Ja, da kannst du uns gleich erzählen, wie sich Ellie als Trainerin macht«, sagt Kieron. »Ist sie dabei genauso zickig wie in der Mannschaft?«
»Nein, sie ist toll«, sage ich und alle lachen. Wieso eigentlich?
»Hört mit dem Quatsch auf«, sagt Ellie. »Ich muss wirklich wissen, wie Joe klarkommt. Und wieso hast du eigentlich deine Zugangskarte wieder abgeben müssen? Wusstet ihr, dass ich einen Brief an den Direktor schreiben musste, damit Joe nicht von der Schule fliegt?«
»So weit wäre es doch bestimmt nicht gekommen«, meint Janet.
»Oh doch. Mr Henderson hat gesagt, du hättest einem anderen Jungen die Nase eingeschlagen, Joe, und der Junge wäre dabei fast ertrunken.«
»Das stimmt überhaupt nicht!«, mischt sich Claire wütend ein. »Die Typen haben Joe beinahe ertränkt.«
|211| Alle sehen sie staunend an. Claire wird wieder mal rot und sieht aus, als würde sie ihre Worte am liebsten auf der Stelle zurücknehmen. Es kommt mir vor, als schauten jetzt alle mich an, und das gefällt mir gar nicht. »Ich muss los«, sage ich. »Vielen Dank für die Einladung. Gibst du mir Bescheid, Ellie, wenn ich mein Trainingspensum steigern soll? Und viel Glück am Wochenende.«
»Bleib doch noch, Joe«, sagt Ellie. »Erzähl uns, was denn nun in der Schule passiert ist.« Aber ich schüttele den Kopf und gehe in Richtung Hintertür. Bevor ich draußen bin, höre ich einen von Ellies Freunden etwas sagen. Es klingt eindeutig wie: »Das ist also dein kleiner Lustknabe, Ellie.«
Claire kommt mir nach und wir gehen zusammen durchs Haus. »Manchmal ist Ellie ein bisschen überdreht«, sagt sie.
»Stimmt. Aber ich hab einfach keinen Bock mehr, die Sache immer wieder durchzukauen. Außerdem gibt es gerade Wichtigeres.«
»Aha. Geh noch nicht, Joe. Wir können uns doch noch ein bisschen unterhalten.«
Ich weiß nicht. Irgendwie bin ich von Ellie enttäuscht und ich will nur noch weg von allen diesen lachenden Fremden. Sie soll das perfekte Mädchen bleiben, auf das ich mich hundertprozentig verlassen kann, nicht jemand, der mich bloß dazu benutzt, seine Freunde zu amüsieren. Ich bin sowieso am liebsten mit ihr allein, weil sie sich dann nur mit mir beschäftigt.
Trotzdem gehe ich mit Claire nach oben, denn endlich |212| habe ich jemanden gefunden, bei dem ich so ehrlich sein kann, wie es mir momentan erlaubt ist.
Außerdem bin ich echt neugierig, warum sie sich ritzt. Und wenn ich ganz ehrlich bin – wie krank und verdreht bin ich eigentlich? –, würde ich ihr ganz gerne noch mal dabei zusehen.
|213| Kapitel 17
Unsichtbar
Als Erstes zieht sie den Vorhang zu. Als Nächstes klemmt sie den Stuhl unter die Türklinke, damit niemand reinkommen kann. Dann setzt sie sich wie vorhin auf den Boden. Sie hat sich ein paar Kissen hingelegt, wie ein kleines Nest.
Ich setze mich daneben. »Warum machst du das eigentlich?«
»Ich will es mir ja abgewöhnen. Ich weiß, dass es krank ist. Ich will wirklich damit aufhören.«
»Als ich dich beobachtet habe, hast du wie ein Junkie ausgesehen, du weißt schon, wie eine Süchtige, die sich den Stoff reinschießt.«
»Es ist auch wie eine Sucht. Der Drang wird immer stärker, bis ich an nichts anderes mehr denken kann, als mich zu ritzen, und dann mache ich es und alles ist wieder in Ordnung. Eine Zeit lang.«
»Wieso hat es noch keiner gemerkt?«
Sie zuckt die Achseln. »Auf mich achtet niemand besonders.«
Das kaufe ich ihr nicht ab. »Und wenn du ein T-Shirt anhast? Wenn ihr in der Schule Schwimmen habt?«
|214| »Ich trage immer lange Ärmel, auch beim Sport. Wie ich das mit dem Schwimmen löse, weiß ich noch nicht. Letzte Woche war ja das erste Mal und ich hatte so was von Schiss. Ich hab mir selbst eine Entschuldigung geschrieben und Mums Unterschrift gefälscht, aber dann hast du Carl eine reingehauen, und das Becken wurde geschlossen, weil das Wasser blutig war.« Sie kichert leise. »Ich war dir sehr dankbar.«
»Hm. Schön, dass ich dir aus der Klemme helfen konnte.«
»Schon gut.«
»Aber wie kommst du überhaupt dazu, so etwas zu tun? Wann hat das angefangen?«
Sie überlegt, starrt ins Leere.
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