Mein bis in den Tod
ausgemergelten Körpers einfach umwerfend schön war.
Sie lag auf einer Holzrahmencouch in seinem Büro, in Rollkragenpullover, Jeans und Socken, die Augen geschlossen, die knochigen Hände an den Seiten. Als er sie vor drei Wochen kennen gelernt hatte, litt sie an Herzrhythmusstörungen, zeigte die ersten Symptome von Nierenversagen und war dem Tod nahe. Jetzt kehrte sie langsam ins Leben zurück.
»Beim Essen?« Ihre Stimme klang verwaschen und verlangsamt.
Er saß neben ihr und sagte im ruhigen, steten Tonfall, den er bei der Hypnotherapie verwendete: »Sie mögen doch Bananen, oder, Kylie?«
Lange Pause, dann: »Ja.«
Kylie litt unter Bulimie, der eine Anorexia nervosa vorausgegangen war. Ihrem Körper fehlten die essentiellen Mineralstoffe, die Zähne waren entkernt und durch die Einwirkung der Magensäure entfärbt. Die Eltern hatten sie aus lauter Verzweiflung zu ihm gebracht, schon nach zwei Sitzungen hatten sich die ersten Fortschritte gezeigt – kleine, doch erkennbare.
»Ich möchte, dass Sie sich vorstellen, wie Sie eine Banane essen. Halten Sie die Banane in den Händen und betrachten Sie sie ganz genau. Das ist eine Banane, ja?«
Keine Reaktion, das war gut, sie nahm den Gedanken in sich auf. »Sie ist ganz reif, genau so, wie sie sein sollte. Auf der Schale sind ein paar grüne Streifen, in dem Hellgelb. Ich möchte, dass Sie – ganz langsam – die Schale abziehen und das Fruchtfleisch betrachten … Es ist fest, aber süß, eine so schöne Banane haben Sie noch nie gesehen. Stecken Sie sie jetzt in den Mund und beißen Sie ein Stück davon ab.«
Sie imitierte einen Biss.
Ihre Kehle verengte sich, dann weitete sie sich.
»Großartig! Sagen Sie mir nun, was Sie empfinden, wenn Sie die Banane essen.«
Sie setzte sich kerzengerade auf, riss die Augen weit auf und übergab sich in die hohle Hand.
Er rührte sich nicht.
Sie sah ihn an, Panik im Blick. Nach einigen Augenblicken zog sie ihr Taschentuch heraus und wischte sich den Mund ab.
»Es – es tut mir leid.«
Er reichte ihr ein Glas Wasser, sagte ganz ruhig: »Trinken Sie einen Schluck.«
Sie trank, dankbar, dann nahm er ihr das Glas ab.
»Es tut mir wirklich leid.«
»Das muss Ihnen nicht leid tun, Kylie. Schließen Sie bitte die Augen und versuchen Sie es noch einmal. Stellen Sie sich die Banane vor. Sie mögen doch Bananen, oder?«
Sie nickte, dann schloss sie die Augen.
»Nun haben Sie eine neue Banane …« Oliver sprach weiter auf die Patientin ein, beruhigend und entspannend, doch seine Gedanken schweiften ab.
Faith Ransome, du bist die bewundernswerteste Frau, der ich je begegnet bin. Gott, ich könnte mich in dich verlieben, aber du bist verheiratet. Ich weiß, du bist nicht glücklich, aber ich darf mich nicht in deine Ehe einmischen. Ich kann versuchen, dir bei deinem gesundheitlichen Problem zu helfen, aber ich muss diese Gedanken stoppen. Irgendwie muss ich sie beenden.
Und das ist so verdammt schwer.
»Großartig, Kylie, ich bin wirklich stolz auf Sie. In einigen Augenblicken wecke ich Sie auf, dann gehen Sie nach Hause, und wenn Sie dort sind, essen sie als Erstes eine Banane. Verstehen Sie mich?«
»Hm.«
Er blickte auf das Foto von Jake und dachte daran, wie er und Marcy sich gefühlt hatten, als er langsam vor ihren Augen starb, dann sah er Kylie Spalding und dachte an ihre Eltern, die im Augenblick im Wartebereich saßen, stellte sich die hilflose Verzweiflung in ihren Gesichtern bei ihrem ersten Besuch vor und dachte: Kylie Spalding, ich lasse es nicht zu, dass du deinen Eltern das antust. Ich werde nicht zulassen, dass irgendwer dich verliert.
Doch dann kreisten seine Gedanken – obgleich er es nicht wollte – wieder um Faith: Und
dich
werde ich auch nicht verlieren.
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33
R oss hockte weinend auf den Knien und umfasste ihr Gesicht. »Darling? Ich liebe dich, Faith. Geht’s dir gut?«
Er drückte sein Gesicht gegen Faiths, atmete den Geruch ihres Haars ein, flüsterte: »Schatz, ich liebe dich, o mein Gott, wie ich dich liebe.«
Dann fasste er ihr schmales Handgelenk und fühlte ihren Puls: Ja, alles in Ordnung, sie war hart aufgeprallt, aber es war nichts Schlimmes passiert, sie lag auf dem Boden, reglos, aber ihr Kreislauf war in Ordnung.
Dass sie sich nicht bewegte, sich tot stellte – das machte sie absichtlich. Tiere stellen sich tot, um Raubtiere zu täuschen, aber Faith tat es, um ihn in Panik zu versetzen, ihm weiszumachen, dass er ihr mehr wehgetan hatte, als es
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