Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
Gemeinschaft. Das seit 1979 sehr gut funktionierende Europäische Währungssystem in seiner heutigen Gestalt ist ein Gegenbeispiel für diesen deutschen Maßstabsanspruch, den wir nun seit zwei oder drei Jahren zunächst aus der Bundesbank und neuerdings auch aus dem Bundesfinanzministerium immer wieder hören und lesen.
Ich will etwas hinzufügen, was vielleicht als unpopulär angesehen werden mag. Die D-Mark ist im Augenblick nicht sonderlich stark. Wir haben heute unsere Leistungsbilanzüberschüsse praktisch auf null vermindert, vielleicht werden wir im nächsten und übernächsten Jahr sogar ein Netto-Kapitalimportland werden. Das ist aber nicht so schlimm; da wir vielleicht schon in zehn Jahren die Wirtschaft in der alten DDR etwa auf das westdeutsche Produktivitätsniveau und den Reallohn auf westdeutsches Niveau gehoben haben werden, so wird dann die D-Mark wieder eine sehr harte Währung sein. Sie wird sich darüber hinaus auf die bei weitem größte Sparsumme und Kapitalbildung der europäischen Volkswirtschaften stützen können. Ich bin besorgt, dass dann zwar nicht militärische Arroganz der Deutschen, wohl aber finanz- und währungspolitische Arroganz der Deutschen verhindern kann, dass es in der EG zu einer einzigen gemeinsamen Währung und zu einer einzigen Zentralbank kommt.
Es ist auch ein anderer Verhinderungsgrund denkbar: wenn wir nämlich zu lange warten und weiterhin die Zeit vertun, ehe es zu einer einzigen Währung der EG und zu einem einzigen Zentralbanksystem kommt. Wir werden bald – spätestens kurz nach der Jahrhundertwende – nicht mehr nur zwölf Mitgliedsstaaten in der EG sein, sondern möglicherweise zwanzig, vielleicht sogar noch mehr. Es wird sehr schwierig, vielleicht unmöglich sein, so viele Staaten unter einen währungspolitischen Hut zu bringen, von denen die Hälfte sich überhaupt erst mühsam an gemeinsame Beschlussfassung und an die Aufgabe soeben erst gewonnener, souveräner Gestaltungsrechte wird gewöhnen müssen. Wer die währungspolitische Vertiefung der EG auf die lange Bank schieben will, der will bewusst in Kauf nehmen, dass sie auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wird!
Diesem Verdacht hat sich seit eh und je London ausgesetzt, aber in den letzten Jahren zunehmend auch die Bundesbank und in ihrem geistigen Gefolge die Bundesregierung. Die Bundesregierung hat früher das Ziel der Wirtschafts- und Währungsunion in der EG propagiert – selbstverständlich zu Recht. Heute aber liest man, dass einige Mitglieder der Bundesregierung die Währungsunion von einer gleichzeitigen »Politischen Union« abhängig machen wollen. Ich halte das für ganz falsch; es ist nur ein nachgeschobenes Verhinderungsargument. Jeder weiß, dass wir von einer politischen Union mit gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik noch sehr, sehr weit entfernt sind!
Ich denke, wir Deutschen sollen am Willen zur Vertiefung der EG festhalten! Wir sollen ebenso festhalten am Willen zur Kooperation mit den Franzosen! Und wir müssen die Kooperation mit den Polen wollen! Ich will offen bekennen: Ich war bedrückt, als im November 1989 der Bundeskanzler ein Zehn-Punkte-Programm mit dem Ziel der Vereinigung der beiden deutschen Staaten dem deutschen Parlament vortrug, ohne zuvor ein Wort mit dem französischen Präsidenten gesprochen zu haben. Allerdings waren danach die verärgerten Reaktionen in Paris auch nicht angemessen. Allein dies eine Beispiel zeigt: Je größer und stärker und reicher wir Deutschen werden, umso wichtiger ist es, auf unsere Nachbarn Rücksicht zu nehmen. Es war auch zweifellos kein Ruhmesblatt, dass die Bundesregierung wegen des Gezeters der Vertriebenenverbände bis zur allerletzten Minute die Anerkennung der deutsch-polnischen Grenze verweigert hat. Auch dies wirkt natürlich nach! Unsere heutige Scheckbuch-Diplomatie hat ebenfalls psychologisch ihre negativen Seiten – ganz abgesehen davon, dass sie sowohl in Moskau als auch in Washington die irrige Vorstellung ausgelöst hat, bei uns sei noch viel mehr Geld zu holen.
Ich denke, wir sollten nicht von einer eigenständigen Rolle Deutschlands sprechen und wir sollten auch diese Idee nicht hegen. Wir sollten dies weder im Falle Sloweniens, Kroatiens oder Estlands, Lettlands, Litauens tun, oder wo auch immer akute schwierige Fragen in Europa oder weltweit auftreten. Wir sollten in keinem dieser Problemfelder uns vorstellen, dass wir eine eigenständige deutsche Rolle zu spielen hätten oder dass wir uns erlauben
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