Mein Flirt mit der Blutfrau
blieb unbesetzt. Niemand setzte sich dort hin. Auch keine alleinstehende Dame, und ich war auch froh darüber.
Juan brachte den Wein. Ich bedankte mich, er lächelte mir freundlich zu und kümmerte sich um die anderen Gäste.
Mein Blick glitt durch das Fenster in den Hof. Längst lag ein dunkler Himmel über dem Land. Das Licht spendeten die Lampen im Garten. Es hielt sich kein Gast mehr im Freien auf, draußen war es um diese Jahreszeit einfach noch zu kühl. Tatsächlich kein Gast?
Eine Frau schritt durch den Garten. Ich erkannte sie, als sie in den Lichtschein einer Laterne geriet. Da stockte mir der Atem!
Es war genau die Frau, die ich auf dem Friedhof gesehen hatte. Jetzt schlenderte sie durch den Garten. Sie trug die gleiche Kleidung, hatte nur wegen der Kühle eine weiße Jacke über die Schultern gelegt. Ich bekam eine trockene Kehle, trank hastig einen Schluck Wein und überlegte, ob es ein Zufall war, daß ich sie wiedersah. So etwas gab es tatsächlich, ich dachte auch nicht mehr länger darüber nach und beobachtete die Person, wie sie sich dem Eingang des Restaurants näherte. Wohnte sie etwa hier?
Ich war gespannt. Sie mußte dicht an meinem Fenster vorbei, schaute auch durch die Scheibe und hätte mich eigentlich sehen müssen. Ich lächelte ihr zu.
Sie gab mit keiner Regung zu erkennen, daß sie mich erkannt hatte, ging weiter und war aus meinem Blickfeld verschwunden.
Juan kam vorbei.
Ich winkte ihn an meinen Tisch und erkundigte mich, ob er die Frau auch gesehen hatte. »Welche, bitte?«
Ich beschrieb sie.
Juan schaute mich dabei starr an. Dann hob er die Schultern. »Tut mir leid, Señor, ich habe keine Ahnung.«
»Schon gut, danke.«
Juan ging, ich drehte mich auf meinem Stuhl, konnte so in Richtung Eingang schauen und sah sie wieder. Sie hatte soeben das Restaurant betreten.
Aus dieser Szene hätte man einen Werbefilm für irgendein Produkt machen können. Die Gäste hatten sie gesehen, nein, sie erlebten diese Frau. Jeder wollte sie anschauen, dabei spielte es keine Rolle, zu welchem Geschlecht die Menschen gehörten.
Frauen waren ebenso fasziniert wie Männer, und die Unbekannte genoß es, sich in den starren, bewundernden und auch manchmal feindseligen Blicken zu baden.
Ein Oberkellner trat auf sie zu und erkundigte sich nach ihren Wünschen. Klar, die Lady wollte essen.
Der Mann im schwarzen Frack schaute sich um. Bedauernd hob er die Schultern. Es war wohl kein Platz mehr frei, bis er mein Zeichen sah, das knappe Heben der Hand.
Er wandte sich wieder an die Schöne, flüsterte mit ihr und deutete in meine Richtung.
Die blauäugige Person nickte. In meinem Magen wurde der Kloß noch größer.
Der Oberkellner und die Unbekannte gingen auf meinen Tisch zu, verfolgt von den Blicken der meisten Gäste. Ich hatte mich erhoben, wurde ebenfalls gemustert und bestimmt von den meisten anwesenden männlichen Personen beneidet.
»Senor, diese Dame sucht einen Platz. Macht es Ihnen etwas aus, wenn sie sich zu Ihnen setzt?«
»Überhaupt nicht.«
»Danke«, sagte die Unbekannte, ließ sich den Stuhl zurechtrücken, nahm Platz, dann setzte auch ich mich und hatte nicht vermeiden können, daß ich einen roten Kopf bekam.
Sie lächelte mich an. »Sie haben schon bestellt, Senor?« Ihre Stimme klang sehr leise, war aber gut zu verstehen.
»Si.«
»Ist der Wein auch gut?«
»Für mich ja.«
»Dann nehme ich ihn auch.« Sie bestellte die Karaffe bei Juan, der plötzlich neben ihr stand und sie wie hypnotisiert anschaute.
»Auch schon etwas zu essen?«
»Nein, Juan.«
Der Junge schien sie zu kennen. Er hatte sich bei ihr nicht vorgestellt. Seit diese Frau erschienen war, hatte ich das Gefühl, woanders zu sitzen. Nicht mehr in diesem großen Restaurant, sondern auf einer kleinen Insel, die nur ihr und mir gehörte.
Ich hatte das Gefühl, allmählich hinwegzuschweben, und riß mich zusammen, um wieder auf den Boden der Ta Isachen zurückzukehren. Das war ihr Gesicht.
Ich schaute hinein, es schwebte direkt vor mir. Ich sah die blauen Augen mit dem grünen Schimmer, die so geheimnisvoll leuchten konnten. Sie hob ihr Glas.
Ich tat es ebenfalls mit meinem, dann prosteten wir uns zu, und ich sagte meinen Namen.
»John Sinclair«, wiederholte sie und spielte mit ihren schlanken Fingern, die von einer sehr hellen Haut umschlossen wurden. »Das hört sich nach England an.«
»Sie haben recht, Señora, ich komme aus London.«
»Sagen Sie nicht Senora, John, so darf ich Sie doch nennen
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