Mein Frankreich (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
mußte er in der Auseinandersetzung mit Hegel die höchste Hürde nehmen, um zu demonstrieren, wie die Materialität, Differentialität, Temporalität und Äußerlichkeit der Zeichen die Rückkehr der Idee zum vollen Selbstbesitz behindert.
Ohne großen Aufwand kann Derrida nachweisen, daß Hegels Semiologie platonisch inspiriert ist: Haben Zeichen einen Sinn, so deswegen, weil ihre geistige Seite einer Seele gleicht, die einen Körper bewohnt – oder die in einem Körper, wie Derrida mit bezeichnender Vorsicht sagt, »deponiert ist«. 11 Der träge Körper des Signifikanten wird sozusagen von der Intention des Signifikats belebt. Gleichwohl ist dieser Belebung eine harte Grenze gesetzt, weil das Zeichen als solches rettungslos tot bleibt, mag auch die lebende Seele in ihm anwesen. Das Zeichen ist ein Ort, an dem das Lebendige mit dem Toten unmittelbar zusammentrifft, ohne daß das Tote aufhört, tot zu sein, und ohne daß das Lebende aufhörte, am Leben zu sein – obschon allein in einer mortifizierten Form, nämlich als postmortale Seele. Signifikate wären demnach unsterbliche Seelen nach ihrer Grablegung im toten Signifikanten – die Totheit desselben jedoch bezeugt den Triumph der Seele, die durch Anwesenheit im Fremden ihren Vorrang vor dem äußeren Material geltend macht.
Damit kehrt das bekannte Schema soma/sema wieder: Der Körper ist das Grabmal der Seele, dem ewigen Refrain des Platonismus entsprechend. Sind aber Zeichen Monumente, in denen verewigte lebende Seelen residieren, dann darf im Pharaonengrab, der Pyramide, das Zeichen aller Zeichen gesehen werden. Hegel zögert keinen Augenblick, diese Konsequenz zu ziehen. Semiologie wäre dann in gewisser Weise nur als allgemeine Pyramidenkunde möglich – jedes Lexikon enthielte nichts anderes als die Alleen der vokalen Pyramiden mitsamt ihren Schriftzeichen, in denen die ewig lebenden Signifikate aufbewahrt sind, mit jedem einzelnen Eintrag die Hegemonie des bestatteten Atems vor dem Gehäuse bezeugend. Jedes Zeichen ist, nach Hegel, »die Pyramide, in welche eine fremde Seele versetzt ... und aufbewahrt ... ist« ( Enzyklopädie , § 458). Entscheidend ist hieran, daß an dieser Stelle nicht nur die Lehre von der Arbitrarität der Zeichen eingeführt wird, die später das Markenzeichen de Saussures abgeben wird, sondern daß diese auch eine philosophische Motivation erhält, weil erst durch die Beliebigkeit der Zeichenwahl die Freiheit des Geistes an die Macht gelangt – im Gegensatz zur Gebundenheit der Symbole und der Symptome.
Von hier aus kostet es wenig Mühe einzusehen, wieso Hegels Interesse an den Zeichen eine Richtung verfolgte, die vom Ägyptizismus soweit als möglich wegstrebt. Er darf sich, um seine Theorie des Geistes zum Ziel zu führen, weder bei der Schwere der Pyramiden noch bei der Rätselhaftigkeit der Hieroglyphenschrift aufhalten – beides muß überwunden werden, bis der Geist sich in eine Sprachhülle kleiden kann, deren Leichtigkeit und Diaphanität es ihm erlaubt, zu vergessen, daß er auf eine äußere Ergänzung angewiesen ist. Dieses Vergessendürfen bedeutet keinen Fehler; es bezeugt die Hervorbringung einer hinreichend leichten und durchscheinenden Sprache, um der Rückkehr der Idee aus dem Außersichsein zu sich selbst keine Hindernisse in den Weg zu legen. Die Ägypter bleiben für Hegel in dieser Sicht für immer Gefangene der Äußerlichkeit, ebenso wie die Chinesen, deren Sprache und Schrift ein einziges System von Schranken und Störungen bildet, die den erfüllten Augenblick des distanzlos sich beiwohnenden Sich-reden-Hörens des Geistes unmöglich machen.
Es erübrigt sich, hier zu zeigen, wie die Dekonstruktion mit diesen Thesen im einzelnen verfährt. Die Grundoperation der dritten Traumdeutung ist deutlich genug: Sie besteht darin, mittels minimal-invasiver Gesten den Text der Metaphysik auf seine innere Traumdrift, das Delirium der unbehinderten Selbstaneignung, zu beziehen und dessen unvermeidliches Scheitern aufzuweisen. Sie hat genug getan, wenn sie die Behinderung nachweist, die dieser Erfüllungsphantasie im Wege steht. Deswegen muß Derrida ein passioniertes Interesse an der ägyptischen Pyramide entwickeln, weil sie das Urbild der sperrigen Materien darstellt, die bei der Rückkehr des Geistes zu sich nicht mitgenommen werden konnten. Doch auch Hegel, der Denker im Zeitalter der leichten und scheinbar überwindbaren Zeichen, entgeht dem Schicksal nicht, daß ein sperriges Ding
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