Mein Glueck
nicht »amused« war. Am nächsten Tag kam ein Anruf einer Freundin von Dorothea, die nachfragen ließ, ob der Kaktus, den sie ihr gesandt habe, nicht eingetroffen sei? Sie habe leider vergessen, ihre Karte beizulegen. Im nachhinein muss ich einsehen, dass es für Dorothea nicht einfach war, mich, den fremden und späten Eindringling, hinzunehmen. Zu sehr war ich in die Intimität des Paares eingedrungen. Später, nach dem Tode Max Ernsts, in den langen Jahren, da ich Dorothea in New York besuchte, entstand eine Freundschaft, die sich nicht zuletzt in den zahllosen Erinnerungen, Passionen und Animositäten absichern konnte, die wir teilten. Sie schrieb mir über den Eindruck, den ich auf sie machte: »C’est là que tu fais ton entrée en scène. Tu est le garçon qu’il était autrefois, tu est le fils qu’il devait avoir, tu connais les vieilles saynètes et les chansons de lycée, tu connais presque par cœur tous les auteurs, penseurs, qu’il a lu au collège, à l’université.« (»Und dann tratest du auf die Bildfläche. Du warst der junge Mann, der er einmal war, du bist der Sohn, den er hätte haben sollen, du kanntest die Szenen und die Lieder aus der Schule, du kanntest, beinahe auswendig, all die Autoren und Denker, die er auf dem Gymnasium und an der Universität gelesen hatte.«) Die Loyalität und Zuneigung ihrer Nichte Mimi tat viel dafür, dass ich mich mit Dorothea verbunden fühlte und sie alle meine Entscheidungen teilte. Sie war einsam geworden. Ihre besten Freunde, wie die unermüdliche Erzählerin Catherine Kuh oder Wesley Strombeck, waren gestorben. Sie suchte keinen Ersatz. Sie war gerne allein in einer oft großen Verdüsterung. Nicht von ungefähr hatte Dorothea Tanning als Ausdruck ihrer unbezähmbaren Lust auf Freiheit ein Zitat von Henry James gewählt. Bereits zu Beginn unserer Bekanntschaft, in den sechziger Jahren, notierte sie mir auf ein Stück Papier ein Wort aus The Turn of the Screw : »Ich stelle mir dauernd Unheil vor und sehe das Leben als wild und düster an.« Hier klingt ein Thema an, das im kommenden Werk von ihr variiert und deutend weiterverfolgt wurde: der prekäre, von Virtualitäten umstellte Moment des Lebens. So etwa in ihrem Bild »Birthday«, auf das Max bei seinem ersten Besuch im Atelier von Dorothea in New York stieß. Alle Türen, vor denen sie sich gemalt hatte, standen offen und sorgten für eine Zugluft, die Max in diese geheimnisvollen Räume hineinziehen musste. Die Sammlung von Gedichten, die unter dem Titel A Table of Content vor wenigen Jahren erschien oder Novellen wie Chasm: A Weekend zeigen, wie viel Verschwiegenes, Zurückgehaltenes diese Künstlerin in ihre rätselhaften Bilder verlegte. Heute, nach ihrem Tod, lese ich aus ihren wunderbaren Briefen vor allem das heraus, was ich immer bei ihr suchte, Vertrauen. Am 7. Juli 2006 schrieb sie mir: »My dear Werner: Let me tell you, while I still can, how much your work for Max has meant to me, how I have treasured your writings on his life and work of my wonderful companion of 34 years. Although it was only during the last 10 of them that Max had a real biographer-friend you! Your books with their analyses of the work, consideration each period make these books an invaluable source of study for generations to come and translations bringing your words of everyone who loves art. I think fondly of how pleased Max was to know a young who understood him, his perception of the world, his indomitable character, his art which the expression of his philosophy. So, Werner, since you are the only one who can tell it all, I thank you from the bottom of my heart. Your affectionate Dorothea
And there is so much more: the many retrospectives you have conceived and made happen, the ceremonies at which you presided and the sculpture ›King Playing with the Queen‹ – it was your influence that managed it for Pompidou etc. I still hope to see you again soon.«
Grandios fiel die Eröffnung der Retrospektive im Guggenheim Museum aus. Es war eine unvergessliche Hommage, die die Stadt Max Ernst darbrachte. Ganz New York war herbeigeströmt, darunter viele Künstler, Robert Rauschenberg, Jasper Johns, Roy Lichtenstein, Ellsworth Kelly, John Cage, Roberto Matta, Bill Copley, Christo und Jeanne-Claude, Andy Warhol, Arman, Claes Oldenburg, Pierre Matisse, Julien Levy, Monroe Wheeler, enge Freunde wie Jean und Dominique de Ménil, John Russell und seine Frau Rosamond Bernier sowie zahlreiche Museumsleute, darunter
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