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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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sich gegenüberstehenden Pulten. Einige Jungen kannte man aus der früheren Schulzeit, die älteren flößten Respekt ein. Ich fühlte mich in dieser großen Gemeinschaft nicht wohl. Ich war in jeder Hinsicht unanstellig. Irgendetwas sagte mir voraus, dass ich hier nicht glücklich werden könnte In zwei großen, durch eine Etage getrennten Räumen schlief je die Hälfte der Schüler. Die vierzig Betten standen dicht nebeneinander. Ein strenger Geruch lag in der Luft. Er war nicht schwächer als der im Schuhputzzimmer. Der Gestank von Straßenschuhen, Turnschuhen, Hausfilzschuhen mit schwarz-gelbem Würfelmuster, kalter und junger Schweiß, das war kaum zu ertragen. Nur der Vorsteher Herre duftete morgens, wenn er durch den Schlafsaal zur Kirche ging, nach Rasierwasser. Erst im letzten Jahr unseres Aufenthalts wurde der Mief etwas gemildert. Die Direktion installierte eine Gemeinschaftsdusche, die man selbstverständlich mit Badehose betreten musste. Im Albertus-Magnus-Gymnasium, wo der Sportunterricht stattfand, konnte man während der vier Jahre, die wir dort verbrachten, nur ein einziges Mal duschen.
    Es war ein streng geregeltes, eintöniges Leben. Um 6 Uhr wurden wir von dem Repetenten oder dem Diener der Anstalt mit einem schallenden »Benedicamus Domino« aus dem Schlaf gerissen. Mühsam antwortete man »Deo gratias«. In den riesigen Waschsälen, in die wir im Halbschlaf torkelten, gab es nur kaltes Wasser. Im Winter froren ab und zu die Leitungen ein. Der Gang zum Waschen war jedes Mal erneut ein unappetitliches Erlebnis. Ein ständiger Fluss von Wasser, Seifenschaum, Zahnpasta und Spucke, den die kippbaren eisernen Waschschüsseln nährten, floss vor uns vorbei. Eine halbe Stunde später hatten wir uns in der Kirche zum Frühgottesdienst zu versammeln. Der Weg dorthin führte über eine kurze geschlossene Brücke, die das Konviktgebäude mit der Kapellenkirche verband. Nach der Messe ging es zum Frühstück in den gemeinsamen Speisesaal. In der Hoffnung, das Auge des Hauses messe die Frömmigkeit mit der Stoppuhr, blieben einige länger knien als andere. Zwischen zweien oder dreien kam es dabei zur servilen Filibusterei. Ziel war es, als letzter, vom Repetenten Ziegler oder Kuhnle oder vom Adjunkt mit Wohlwollen beobachtet, von der Bank aufzustehen und sich auf theatralische Weise vom Gebet loszureißen. Offensichtlich gehörte diese Verstellerei, die niemand zu durchschauen vorgab, zu den Usancen des Hauses. Erst im Speisesaal durfte man das strenge Silentium brechen, das zwölf Stunden zuvor nach dem Abendessen das ganze Haus in Lähmung hatte fallenlassen.
    Irgendwie wurde das, was wir hier erlebten, zumindest in den ersten zwei, drei Jahren, von den meisten ohne Widerspruch hingenommen. Es gab nie einen offenen Aufruhr, allenfalls wurde ein Zögling, der nachts über die Fahnenstange ins Haus geklettert war, erbarmungslos in sein Dorf zurückgeschickt. Heute kann man sich das alles nicht mehr vorstellen. Aus dem Konvikt ist inzwischen ein Internat geworden, in dem Mädchen und Jungen zusammenleben, in dem es keine Schlafsäle mehr gibt und das unter der Bezeichnung »humanistisch-musisches Institut« für sich wirbt. Wir lebten in einer Sonderzone, blieben von der bösen und gefährlichen Außenwelt abgeschnitten. Kontakte zu den Bewohnern der Stadt gab es nicht, oder sie mussten beantragt und genehmigt werden. Nur zwischen 13 und 14 Uhr hatten wir Ausgang und noch einmal eine halbe Stunde am Spätnachmittag. Über allem herrschte ein strenger Vorsteher, der uns jede Woche am Samstagabend im Festsaal zusammenrief und die Exhorte, eine Art vorgezogenes Jüngstes Gericht, auf uns niederprasseln ließ. Uns wurde auch ein Bericht des bischöflichen Ordinariats ausgehändigt, in dem die Regeln nachzulesen waren. Wichtig erschien vor allem die Beziehung zum anderen Geschlecht: »Was im Besonderen die Stellung eines Konviktoren zur Mädchenwelt betrifft, so ist es eine Selbstverständlichkeit, dass die Grundsätze, welche die studierende Jugend im Bund der Deutschen Katholischen Jugend für ihre weltlichen Mitglieder aufgestellt hat, erst recht für unsere künftigen Theologen gelten müssen. Das sogenannte Poussieren, das zeitweise in manchen Obergymnasien einreißt, ist schon für Nichttheologen eine verfrühte Spielerei ohne Ernst, Tiefe und Zucht …« Von Kindheit an hatte man uns vor der Sünde gewarnt. Sie war ein Begriff, dem die Anschaulichkeit fehlte. Waren es etwa die Bonbons, von denen man zu viele

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