Mein Gott, Wanda: Roman (German Edition)
sonderlich für Biggi interessierte. Nein, Ecki kam aus einem anderen Grund ins Herkules . Wanda ahnte, warum, fühlte sich immens geschmeichelt und hoffte dennoch jeden Tag, dass Gerd auftauchen würde, und fürchtete sich zugleich vor neuen amourösen Abenteuern. Andererseits hatte sie sich seit langem nicht mehr so lebendig gefühlt, es war, als hätte Bennos plötzlicher Tod eine Tür aufgestoßen, die ihr bis dahin gar nicht aufgefallen war. Eine Tür in ein Leben, in dem man alles intensiver wahrnahm und Gelegenheiten beim Schopfe packte. Biggi schien es genauso zu gehen – sie sah noch schriller und greller aus als früher, sie hatte es aufgegeben, abnehmen zu wollen, und redete seit neuestem von einer Reise in ein exotisches Land, die sie sich gönnen wollte.
»Axel, der macht was?«, unterbrach Stefan Wandas Gedanken.
»Nichts weiter.« Aus irgendeinem Grunde widerstrebte es Wanda, ihren Sohn in alles einzuweihen. In irgendeiner dunklen Ecke ihres Herzens fürchtete sie, dass er damit ganz und gar nicht einverstanden sein könnte. Hoffentlich hatte sie es bis zu seiner Rückkehr fertiggebracht, das Herkules bei diesem Wettbewerb anzumelden und noch ein wenig aufzumöbeln.
»Wäre echt ’ne Abwechslung, wenn du mich besuchen kämst. Hier ist es so öde. Ich sehne mich nach meinen eigenen vier Wänden.«
Wanda schämte sich. Was war sie nur für eine Mutter. Permanent dachte sie an das Herkules . »Bestimmt bist du bald wieder fit«, sagte sie schnell. »Ich bring dir am Wochenende auch was mit. Lebkuchen. Die liegen schon wieder in den Läden herum, ich habe noch gar nicht realisiert, dass bald Weihnachten ist. Oder Mariannes Kuchen.«
»Danke. Auch an Marianne. Ihre Kuchen sind die besten.«
»Gern geschehen.« Wanda zog eine Fussel von dem burgunderfarbigen Kleid, das sie erneut aus seiner Verbannung im Kleiderschrank befreit hatte. Ecki hatte ihr dafür ein – wenn auch leicht befremdliches – Kompliment gemacht. Seiner Meinung nach sah es aus wie das Gewand einer griechischen Statue, als Beweis hatte er ihr in seinem iPhone die Abbildung einer weiblichen Figur an einem Sarkophag gezeigt, der ein Stück Hand und der gesamte Kopf fehlte. Sie sah aus dem Fenster, schob die Gardine zur Seite und stutzte. Was war denn das? War das nicht Marianne? Die an einem Dienstagmorgen in einem weißen Lieferwagen vor ihrem Haus anhielt? Jetzt hatte Marianne sie ebenfalls entdeckt und winkte ihr hektisch zu. Wanda öffnete das Fenster. »Ich nehme dich mit ins Studio. Hab das Auto vom Günther genommen, ich bringe die erste Ladung Zwerge!«, rief Marianne.
Vor dem Herkules war der Teufel los. Ein Möbelwagen hatte mitten vor der Tür geparkt, weil in die leerstehende Wohnung über dem Herkules wieder jemand einzog. Die Verhaltenstherapeutin bekam offenbar gerade ein Paket, vor ihrem Haus stand ein UPS -Truck, sodass Marianne ihren Lieferwagen leider Gottes auf der anderen Straßenseite parken und Wanda unter den Argusaugen sämtlicher Anwohner die zwanzig Zwerge über die Straße in den Innenhof des Herkules tragen musste.
»Weihnachts-Deko?«, rief eine der Friseurinnen ihr neugierig zu, die vor dem Laden rauchte. »Unser Chef hat auch schon verlangt, dass wir schmücken. Das geht immer zeitiger los. Demnächst hängen wir schon im August die Adventssterne auf.« Sie trat die Zigarette aus, zog fröstelnd die Schultern hoch und ging kopfschüttelnd wieder in den Laden.
»Wer zieht denn oben ein?«, erkundigte sich Wanda bei Axel, nachdem sie die Zwerge erst einmal, so gut es ging, im Hof verfrachtet hatte.
»Studenten oder so«, antwortete Axel. Er betrachtete die Zwerge argwöhnisch, offenbar unschlüssig, ob Wanda sich einer besonders extremistischen Gruppierung von Spießern angeschlossen hatte oder im Hof den Kurs Sportschießen auf Zwerge anbieten wollte. »Jedenfalls keine Kundschaft für dich.«
»Sag das nicht. Im Herkules kommen neuerdings Alt und Jung zusammen.«
Axel grinste. »Generationsübergreifend sozusagen. Was ganz Besonderes.«
Generationsübergreifend. Was ganz Besonderes. Mensch … Wanda starrte ihn an. »Danke, Axel. Danke für die Idee.« Sie drehte sich um und lief zurück ins Studio. »Marianne?«
Marianne saß am Tresen, vor sich eine Tasse Tee, neben sich Matti, dessen Hand sie tätschelte. Wanda blinzelte. Doch, Marianne tätschelte tatsächlich Mattis Hand.
Wanda sah sie fragend an. Wieso war der schon da? Sie hatten doch noch gar nicht auf.
›Ist okay.
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