Mein irischer Held
Inzwischen wusste sie, dass Brianna es einst getragen hatte. Wie traurig, dass das kleine Mädchen so früh sterben musste …
Genevieve seufzte tief auf. Sie verstand Bevans Trauer über den Tod seiner ersten Frau und seiner Tochter sehr gut. Dennoch hoffte sie, dass er eines Tages bereit sein würde, seine uneingeschränkte Liebe ihr, seiner zweiten Gemahlin, zu schenken. Vielleicht würden sie irgendwann auch eine Tochter und zudem einige kräftige Söhne haben. Ein neuerlicher Seufzer. Sie wünschte sich so sehr, eigene Kinder zu bekommen.
In diesem Moment stürzte Ewan in das Gemach und riss Genevieve aus ihren Tagträumen. Er war außer Atem. „Von Norden nähert sich ein kleiner Trupp von Normannen“, stieß er hervor. „Ich habe die Wachen verstärkt und sie zu besonderer Aufmerksamkeit angehalten.“
„Weißt du etwas über deren Absichten?“
Er schüttelte den Kopf. „Noch nicht. Aber ich werde es herausfinden.“ Damit wandte er sich zur Tür.
Genevieve blieb ein wenig ratlos zurück. Sie schloss nervös den Deckel der Truhe, richtete sich auf und strich sich glättend über ihr Gewand. Mit den Fingern fuhr sie sich über den Kopf. Ja, ihr Haar war ordentlich mit einem Schleier bedeckt, so wie es sich für eine Lady geziemte. Sie straffte die Schultern und begab sich nach unten, um den Mägden Anweisungen zu geben. Vermutlich würde es am besten sein, die Normannen wie Gäste zu behandeln.
Während Genevieve in der Küche nach dem Rechten sah, kehrte Ewan zurück und begab sich direkt zu ihr. Jemand musste ihm gesagt haben, wo er sie finden würde. Seine Miene war finster, aber seine Augen blitzten vor Aufregung. „Hugh Marstowe ist bei ihnen. Soll ich den Befehl zum Angriff geben?“
Ein kalter Schauer überlief Genevieve, das Blut wich ihr aus den Wangen. Dennoch gelang es ihr, ihre Panik zu überwinden. Sie war jetzt eine verheiratete Frau. Hugh hatte keine Ansprüche mehr auf sie. Er würde es nicht wagen, sich gegen den Willen des Königs zu stellen.
„Wie viele sind es?“, fragte sie.
„Nur zehn. Es sollte kein Problem sein, sie zu überwinden.“
Am einfachsten wäre es, überlegte Genevieve, wenn die Wachen Hugh und seine Leute einfach fortschicken würden.
Doch dann fiel ihr das blaue Seidenband ein. Was hatte Hugh ihr damit zu verstehen geben wollen? Sie zögerte.
„Lass mich einen Moment nachdenken“, bat sie Ewan und versuchte, sich in ihren früheren Verlobten hineinzuversetzen. Hugh war kein Dummkopf. Ihm musste klar sein, dass er – was auch immer geschehen würde – keine Ansprüche auf Rionallís mehr geltend machen konnte. Die Burg und das dazugehörige Land war durch die Eheschließung in Bevans Besitz übergegangen. Darüber hatten König Henry und der irische Hochkönig gemeinsam entschieden. Rionallís würde im Besitz der MacEgans bleiben, auch wenn ihr oder ihrem Gemahl etwas zustieß. Darum konnte es Hugh also nicht gehen.
Demnach musste seine Absicht eine andere sein. Vermutlich wollte er sich davon überzeugen, dass er noch immer Macht über sie, seine ehemalige Verlobte, hatte. Es würde ihm Freude bereiten, zu sehen, dass er ihr nach wie vor Furcht einflößen konnte. Nun, sie würde ihm eine Enttäuschung bereiten. Sie würde die Gelegenheit nutzen, die Dämonen der Vergangenheit endgültig zu vertreiben. Wenn es ihr gelang, Hugh jetzt ohne Angst gegenüberzutreten, dann würde das auch ihre Zukunft mit Bevan erleichtern. Sie würde sich nicht mehr von der Erinnerung an Marstowes Brutalität terrorisieren lassen.
Ja, hier bot sich die Chance, ihren Stolz zurückzugewinnen. Sie würde sich und der Welt beweisen, dass sie ihren alten Feind überwunden hatte. Entschlossen wandte sie sich Ewan zu. „Wir wollen sie hereinlassen“, sagte sie. „Ich denke, ich sollte mit Hugh reden.“
Fassungslos starrte der Junge sie an.
„Ich möchte“, fuhr Genevieve mit fester Stimme fort, „dass zwanzig bewaffnete Männer im Saal Aufstellung nehmen. Bei dem geringsten Anzeichen von Feindseligkeit seitens der Normannen sollen sie angreifen. Und du, Ewan, sollst sie befehligen. Ich vertraue darauf, dass du mich und alle, die auf Rionallís leben, beschützen wirst.“
Stolz nickte Ewan. Er wirkte plötzlich größer und reifer. „So soll es sein“, erklärte er. Dann lief er los, um die notwendigen Anweisungen zu erteilen.
Genevieve wartete. Obwohl sie davon überzeugt war, das Richtige getan zu haben, wuchs ihre Nervosität von Minute zu Minute. Unruhig
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