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Mein ist der Tod

Mein ist der Tod

Titel: Mein ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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brechen – allein diese Begegnung mit einem Material, das so verletzlich zu sein schien, änderte sein künstlerisches Gefühl. Er entdeckte in sich eine Vorsicht, die er gegenüber Papier und Leinwänden nie üben musste.
    Als er die Aufzeichnungen beendet hatte, spürte er seinen Hunger. Er zog den Mantel an, fuhr mit dem Lift hinunter und verließ das Haus. Nicht weit von der Hofkunstanstalt fand er in einer hallenartigen Bierschwemme einen Tisch, saß dort bei Bier und Schweinsbraten unauffällig im bayerischen Stimmengewirr und dachte nicht daran, Michaela Bossi anzurufen.
    Als sein Telefon klingelte und er ihre Nummer sah, überlegte er kurz, das Gespräch nicht anzunehmen oder zu lügen, er sei mit Max Reber hier beim Essen; dann entschied er sich für die Wahrheit.
    Ich will einfach allein sein. Habe nicht mal eine Woche für das Fenster.
    Aber das kannst du doch sagen!
    Sag ich ja.
    Ich meine, vorher, du hättest es vorher sagen können.
    Vor was?
    Auf der Fahrt. Ich hab damit kein Problem.
    Das ist gut.
    Sie schwieg, und er spürte, dass sie in ihr Schweigen einen unausgesprochenen Vorwurf verpackte. Auch Martina hatte diese Methode, ihm etwas zu sagen, indem sie es nicht sagte.
    Der Menschenlärm um ihn, in dem er sich zuvor wohlgefühlt hatte, war ihm plötzlich unangenehm.
    Ich esse noch auf und komme dann.
    Brauchst du wirklich nicht.
    Nein. Wäre aber vielleicht ganz schön, was meinst du?
    Sie nannte ihm die Adresse der LKA-Wohnung und fragte:
    Trinkst du weiß oder rot?
    Kommt drauf an, was du hast. Ich nehme ein Taxi.
    Bis gleich.
    Sie legte auf. Er fragte sich, wie man das nannte, was ihm gerade passiert war. Altersnachgiebigkeit? Der Schweinebraten schmeckte weniger gut als zuvor, das Bier ließ er stehen.
    Im Taxi nahm er sich vor, nicht bei Michaela Bossi zu übernachten.

    Dorina Radványi konnte nicht schlafen. Es war nicht das Geschrei der Rotmilane, das sie kein Auge zutun ließ. Die Vögel schwiegen längst. Sie wälzte sich auf den Rücken, starrte ins Dunkel und versuchte, ihre Unruhe zu verstehen. Sie fand keinen Grund dafür.
    Freya Paintner hatte entschieden, dass Aminata nicht allein durch die Stadt zum Hotel am Kornmarkt gehen, sondern bei ihr übernachten sollte. Nicht im Gästezimmer im ersten Stock – sie wollte ihr die gemeinsame Badnutzung mit Günther Korell nicht zumuten. Im Kutscherhaus gab es ein Appartement, ein winziges Zimmer mit Dusche und Toilette.
    Dorina wurde wie an jedem Abend gerufen, um Freya beim Zubettgehen behilflich zu sein. Die Ungarin kam, traf die beiden Frauen in heiterem Zustand an und sah, dass sie die Flasche Montepulciano geleert und offenbar noch einen Poire Williams hinterher getrunken hatten. Eine offene, blaue Pappschachtel und ein Blechdöschen mit geöffnetem Deckel lagen auf dem Tisch, ihr kleinteiliger Inhalt war auf der weißen Decke verstreut.
    Freya hatte rote Backen, ihre Augen strahlten, das ganze Gesicht schien neu belebt. Ihre Pflegerin begriff nicht, was hier vorgegangen war.
    Schon als sie eintrat, hatte Freya ihr entgegengerufen: Denken Sie nur, Dorina, meine Enkelin ist gekommen, das ist Aminata Mboge. Sie ist die Tochter meines Sohnes Joseph.
    Die Pflegerin glaubte, es sei der Wein. Sie nickte stumm. Freya hatte eine andere Reaktion erwartet.
    Haben Sie nicht gehört, Dorina?
    Doch, doch, Frau Freya. Ich bin nur, ich habe mich überrascht.
    Aminata ging auf sie zu und reichte ihr die Hand. Dorina hielt sie fest und sah der jungen Frau in die Augen. Sie musste dazu den Kopf in den Nacken legen. Dann nickte sie.
    Man sieht es schon, sagte sie. Die Stirn, und das Kinn. Ein Fleisch und ein Blut. Ich heiße Ihnen herzlich willkommen, Frau Aminata.
    Sie wird drüben übernachten, im kleinen Zimmer, sagte Freya.
    Ja, natürlich. Ist alles sauber. Aber was werden Sie brauchen, junge Frau? Ich möchte noch eine frische Zahnbürste vorrätig haben.
    Aminata bewies, dass die vergangenen Stunden voller Erzählungen ihr Deutsch verbessert hatten:
    Ich immer habe mit mir, was ich nötig. Immer. Von mein Vater. Er immer sagt: Du nie weißt. All of a sudden there is a white crocodile in your life.
    Und wie recht er hat, lachte Freya. Man weiß wirklich nie. Auf einmal kommen Engel, und man will nur noch tanzen!
    In harmonischer Stimmung hatten sie sich getrennt. Aminata wartete, bis die Pflegerin Freya zu Bett gebracht hatte, und ging dann mit ihr zum Kutscherhaus hinunter. In dem kleinen Zimmer hatte Dorina ihr frische Handtücher gegeben und

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