Mein ist die Stunde der Nacht
sollen.«
Fünf Minuten später überlegten sie im Büro von Stevens, wie sie dem Angriff der Medien am besten entgegentreten konnten. »Wir glauben, dass wir es vielleicht mit einem Serienkiller zu tun haben. Wir müssen diesen Kerl in Sicherheit wiegen«, argumentierte Sam. »Wir geben nur das bekannt, was feststeht. Alison Kendalls Tod war ein Badeunfall. Selbst mit dem Wissen, dass vier andere Frauen, die enge Freundinnen von ihr waren, ebenfalls gestorben sind, sieht die Polizei von Los Angeles keinerlei verdächtige Umstände in Zusammenhang mit ihrem Tod. Laura Wilcox hat im Hotel angerufen und mitgeteilt, dass sie noch keine genauen Pläne habe. Dass sie nervös geklungen haben soll, ist nichts weiter als eine Mutmaßung vonseiten einer Hotelangestellten. Sie ist erwachsen und hat das Anrecht auf die Wahrung
ihrer Privatsphäre. Wir untersuchen zurzeit die Todesfälle der anderen Frauen, die in ihrer Schulzeit eine Tischrunde gebildet haben, aber es ist offensichtlich, dass ihre tödlichen Unfälle – beziehungsweise im Falle von Gloria Martin der Selbstmord – keinerlei Muster ergeben, die auf einen Serienmörder schließen lassen.«
»Ich fürchte, nach so einer Erklärung werden uns die Leute für verdammt naiv halten«, sagte Rich Stevens mit grimmigem Gesicht.
»Das ist ja genau das, was ich erreichen will«, gab Sam zurück. »Ich möchte, dass der Kerl da draußen denkt, wir wären ein Haufen Trottel. Wenn Laura noch am Leben ist, möchte ich nicht, dass er in Panik gerät, solange wir noch eine Chance haben, sie zu retten.«
Ein Klopfen ertönte. Einer der jungen Neuzugänge bei den Ermittlern stand in der Tür, sichtlich aufgeregt. »Sir, wir gehen gerade die Schülerakten der Stonecroft-Absolventen durch, die auf dem Klassentreffen waren, und haben da vielleicht etwas über einen von ihnen, Joel Nieman.«
»Was ist mit ihm?«, fragte Stevens.
»In seinem Abschlussjahr wurde er verhört, weil jemand sich an Alison Kendalls Schließfach zu schaffen gemacht hatte. Bei den Scharnieren waren die Stifte entfernt worden, sodass ihr beim Öffnen die Tür entgegenfiel und sie zu Boden ging. Sie trug eine leichte Gehirnerschütterung davon.«
»Warum wurde er verhört?«, fragte Sam.
»Weil er sich sehr über etwas aufgeregt hat, das sie in der Schülerzeitung geschrieben hatte. Die Abschlussklasse hatte Romeo und Julia aufgeführt. Nieman spielte den Romeo, und Kendall schrieb etwas Gemeines darüber, dass er sich den Text nicht habe merken können. Er hat daraufhin jedem, der es hören wollte, erzählt, was er am liebsten mit ihr anstellen würde, und behauptet, den Text von Shakespeare sehr wohl zu beherrschen. Es habe nur an einem kurzen Moment von Lampenfieber gelegen. Kurze Zeit später hat sie die Tür an
den Schädel bekommen. Und es gibt noch mehr. Er hat einen ziemlich aufbrausenden Charakter und wurde schon mehrfach nach Schlägereien in Bars mit aufs Revier genommen. Letztes Jahr ist er nur knapp einer Anklage wegen kreativer Buchhaltungspraktiken entgangen. Und seine Frau ist die meiste Zeit nicht da, so, wie jetzt gerade.«
Monsignore Dillon und mir ist aufgefallen, dass der Kerl, der Jean die Faxnachrichten geschickt hat, aus einem relativ unbekannten Sonett von Shakespeare zitiert hat, dachte Sam.
Er stand auf. »Romeo, Romeo, warum denn Romeo?«
Als Rich Stevens und der junge Ermittler ihn anstarrten, sagte Sam: »Genau das werde ich jetzt herausfinden. Und dann werden wir sehen, wie viel Zitate von Shakespeare uns Joel Nieman noch aufsagen kann.«
48
UM HALB SIEBEN WAR DIE Eule zurück und schlich die Treppe hinauf. Diesmal hatte Laura seinen Besuch vorausgeahnt oder seine Anwesenheit gespürt, denn als er das Zimmer betrat und die Taschenlampe auf sie richtete, sah er, dass sie bereits zitterte.
»Hallo, Laura«, flüsterte er. »Freust du dich, dass ich wieder da bin?«
Ihr Atem ging schnell und flach. Er beobachtete, wie sie sich zusammenkrümmte.
»Laura, du sollst mir antworten. Warte, ich werde den Knebel lockern. Noch besser, ich nehme ihn ganz ab. Ich habe dir was zu essen mitgebracht. Also noch mal: Freust du dich, dass ich wieder da bin?«
»J-Ja, ich freu mich«, flüsterte sie.
»Laura, du stotterst ja. Ich muss mich über dich wundern. Sonst machst du dich doch über stotternde Menschen lustig. Zeig mir, wie du dich über sie lustig machst. Nein, lass es. Ich kann nicht so lange bleiben. Ich hab dir ein Sandwich mit Erdnussbutter und Marmelade und ein Glas
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