Mein Jahr als Mörder
später unter der Abkürzung CIA firmierte. D. habe ihm erklärt, selbst geflüchtet zu sein. Die beiden ändern hätten ihn gedrängt, ebenfalls zu fliehen und im Westen zu bleiben, weil er in schwerster Gefahr sei. Dr. M. beeidet diese Aussage. Dr. B. bezeugt, dass er in der gleichen Zeit wie Dr. M. angeblich vom SSD vor einer Verhaftung gewarnt wurde, nur weil er der Chef des verdächtigen Dr. M. sei. Er lebt aber immer noch auf freiem Fuß, in Ostberlin, anderthalb Jahre nach jenen Anrufen.
Die Frage des Gerichtsvorsitzenden: «Haben Sie erlebt, dass Ärzte, die sich politisch abfällig geäußert haben, festgenommen worden sind?», beantwortet der Zeuge D., nach langem Zögern, mit «Nein».
Nun können auch die Strafrichter in Moabit nicht mehr übersehen, dass der Zeuge D. offenbar im Auftrag der Amerikaner im Vorstand der Gewerkschaft Gesundheit des FDGB und, zumindest im Fall Dr. M., für die Abwerbung von Ärzten tätig war. Die Anklage, die sich allein auf die Aussagen dieses Zeugen und Agenten stützte, bricht zusammen. Ein Fiasko für den Generalstaatsanwalt, der sein Gesicht nicht verlieren möchte und trotzdem vier Monate Gefängnis ohne Bewährung für die Angeklagte beantragt.
Das Gericht spricht sie frei. Es sei ihr nicht nachzuweisen, dass sie mit der Preisgabe der Bemerkung eine politische Verfolgung des Dr. M. bezweckt hätte, zumal sie über zwei Monate lang nicht davon Gebrauch gemacht hätte.
Die Westberliner Presse verschweigt die Abwerbung durch den amerikanischen Geheimdienst, fasst sich kurz und mault: Beweise reichten nicht. Politischer Prozeß gegen kommunistische Ärztin. SED-Anwalt provozierte. Die Ostberliner Presse jubelt über die Fakten aus Moabit und die kostenlose Propagandahilfe: USA-Regie versagte.
Was für ein Glück, endlich einmal, ein einziges Mal Glück zu haben mit der Justiz! Der Staatsanwalt verzichtet auf Revision. «Das Urteil ist damit rechtskräftig», schreibt Kaul am 30. 10. 1957 an seine Mandantin, «und die Sache endgültig erledigt. Ich gratuliere Ihnen und mir, mir allerdings ein bisschen mehr.»
Happy together
Ein großzügiges Messingschild, graviert neben der Haustür des verklinkerten Eigenheims: Das geschwungene R. lehnte sich einladend dem Besucher entgegen, der sein aufgeregtes Gesicht im glänzend geputzten Messing verkleinert gespiegelt fand. Gleich nach dem ersten Klingeln, dem Doppelton einer fröhlichen Quinte, öffnete der Hausherr persönlich, reichte die Schwurhand, führte mich mit freundlichen Floskeln des Willkommens in sein Wohnzimmer und bot Kaffee an, der in einer Kanne mit Wärmemütze auf dem Tisch stand.
Mein Blick fiel zuerst, als hätte R. ihn gelenkt, auf eine Wand mit elegant gerahmten Urkunden, daneben einige Pokale auf dem Kaminsims. Ich wurde neugierig und zögerte, auf dem angebotenen Polstersessel Platz zu nehmen.
- Schauen Sie sich ruhig um, sagte er, der Kaffee wird so schnell nicht kalt.
Die Urkunden, das sah ich rasch, sind Urteile, die ersten Seiten der Urteile, nach dem üblichen Schema: Im Namen des Deutschen Volkes, In der Strafsache gegen, Namen der Angeklagten, hat der Volksgerichtshof, Namen der Richter, für Recht erkannt: Für immer ehrlos wird er, wird sie, werden sie mit dem Tode bestraft.
- Meine schönsten Urteile, sagte er, ich konnte natürlich nicht alle aufhängen.
Er kicherte, ehe ich verstand.
- Den Witz hab ich nicht für Sie erfunden, den mach ich immer.
Ich ging von einem Wandschmuck zum ändern, versuchte mir Namen zu merken oder die Anklage: Hochverrat, Wehrkraftzersetzung, Hochverrat, Abhören von Feindsendern, Hochverrat, Hochverrat.
- Lesen Sie sich nicht fest, sagte er, es wiederholt sich ja doch, mehr oder weniger, die feinen Unterschiede liegen in der juristischen Bewertung, in den Formulierungen auf den folgenden Seiten. Ich zeige das allen meinen Besuchern und natürlich auch Ihnen, damit Sie sehen, ich habe nichts zu verbergen.
Ich trat zum Kamin, vier Pokale nebeneinander aufgereiht, der größte war gekrönt von einer zehn Zentimeter hohen versilberten Guillotine. R. beantwortete sogleich meinen staunenden Blick:
- Der Roland-Freisler-Pokal von 1944!
Daneben die gleiche Guillotine verkleinert und in Blech gefertigt mit der Gravur: Roland-Freisler-Pokal 1943, 2. Rang. Rechts davon auf einer kleinen Säule, versilbert, ein doppeltes Paragraphenzeichen und links ein bronziertes, mit Hakenkreuz verziertes Buch in der Größe einer Zigarettenschachtel, das Strafgesetzbuch.
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