Mein Leben bei al-Qaida - Nasiri, O: Mein Leben bei al-Qaida - Inside the Jihad. My Life with Al-Qaida. A Spy's Story
scherzhaft. Diese Frage stellte sich nun wirklich. Wer von uns wollte zum Märtyrer werden, wer wollte freiwillig den Zünder entfernen, um ein unbeabsichtigtes Losgehen dieses Blindgängers zu verhindern? Wir schauten uns gegenseitig an und lächelten nervös. Wir wussten, dass dies eine Entscheidung war, die schwerwiegende Konsequenzen haben konnte.
Und dann hob ich plötzlich die Hand. „Ich mache es“, sagte ich. Wenn denn einer zum schahid werden musste, dann ich. Die Tschetschenen schauten erst sich, dann mich fassungslos an. Selbst Abu Hamam schien überrascht zu sein. Dann zuckte er ganz leicht mit den Achseln und forderte mich auf, ganz vorsichtig mit dem Zünder umzugehen, der jetzt nach der vergeblichen Zündung viel gefährlicher sei als normalerweise. Natürlich wusste ich das auch – wenn ich ihn auf die falsche Art anfassen würde, könnte er doch noch das TNT zünden, und ich würde in tausend Stücke zerrissen werden.
Als Abu Hamam geendet hatte, wandte ich mich den anderen zu und grüßte sie. „Assallamu Alaykum“, sagte ich.
„Wa Alaykum Assallamu Wa Rahmatullah Wa Barakatuh“, antworteten sie im Chor. Möge der Friede, der Segen und die Gnade Gottes auf dir ruhen. Friede und Segen, das war normal. Aber Gottes Gnade? Für mich klang das wie ein Totengebet.
Dann drehte ich mich um und ging am Fluss hinauf bis zu den Felsbrocken und dem TNT. In diesem Augenblick war mein Kopf völlig leer. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich sterben würde, und ich akzeptierte das auf gewisse Weise. Aber tief innen gab es doch noch einen winzigen Teil von mir, der dies nicht für mein unabwendbares Schicksal hielt und der immer noch daran glaubte, dass meine Zeit noch nicht gekommen sei und ich eines Tages nach Europa zurückkehren würde.
Ich hatte nur ein paar Sekunden für diese Gedanken übrig, bevor ich mich neben den Felsbrocken und dem TNT hinkniete. In diesem Moment war alles um mich herum ganz ruhig und friedlich. Ich war ziemlich weit vom Lager entfernt, und auch die Stimmen meiner Gruppe waren nicht mehr zu hören. Nur das leise Rauschen des Wassers drang noch an mein Ohr. Ich wusste, dass ich jetzt jede Sekunde sterben konnte, ja dass ich wahrscheinlich sogar sterben würde. Trotzdem geriet ich nicht in Panik.
Ich beugte mich vor und entfernte ganz vorsichtig mit zwei Fingerspitzen den Zünder. Er war glühend heiß. Ich legte ihn ganz sanft auf einen Stein in der Nähe, damit er dort abkühlen konnte. Dann hob ich die Hand, um den anderen zu zeigen, dass keine Gefahr mehr bestand.
Ich weiß bis heute nicht, warum ich mich damals freiwillig gemeldet habe. Eigentlich meldete ich mich ohne jedes Nachdenken. In diesem Augenblick hielt ich dies einfach für entscheidend für meine Mission. Aber für welche Mission – meine Mission als Mudschahid oder meine Mission als Spion? Für beide, nehme ich an.
Inzwischen fühlte ich mich mit den Brüdern in meiner Gruppe eng verbunden. Ich hatte mit ihnen monatelang über die Gebote des Dschihad gesprochen und nachgedacht. Ich hielt es einfach für meine Pflicht als Mudschahid, mich Gott zu opfern, um meinen Brüdern zu helfen. Da gab es gar keine andere Wahlmöglichkeit, und ich hatte auch keine Angst zu sterben. Aber ich wusste natürlich auch, dass ich mit dieser Tat jeden Zweifel beseitigen würde, den eventuell noch irgendjemand im Lager an meiner Hingabe für die gemeinsame Sache hegen mochte.
Meine beiden Missionen, Spion und Mudschahid, waren jetzt zu einer einzigen geworden. Ich war jetzt völlig in meiner Rolle aufgegangen. Genau das muss ein Spion tun, wenn er wirklich Erfolg haben will. Niemand kann lange Zeit ein Doppelleben führen und erwarten, dass er damit durchkommt. Ich musste mein Leben hier völlig annehmen.
Eigentlich war mir das aber auch sehr leichtgefallen. Bereits bei meiner Ankunft in Karatschi war ich sofort in die nächste Moschee gegangen, als ob ich bisher an jedem Tag meines Lebens fünfmal meine salat verrichtet hätte. Hier im Lager träumte ich davon, mit den Männern in meiner Gruppe nach Tschetschenien zu gehen und dort alles anzuwenden, was ich hier gelernt hatte, um die russischen Eindringlinge zu vernichten.
Also was war es nun? War ich ein guter Spion, weil ich so vollständig in dieser Rolle aufgehen konnte? Oder war ich ein guter Mudschahid, der daneben zufällig auch noch ein Spion war?
TAKTIK
Nach dem Ende der Sprengstoffausbildung folgte ein mehrere Monate dauerndes taktisches Training. Wir
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