Mein Leben für dich
vergessen. Wieder mal.
»Hallo, Simon, darf ich kurz reinkommen?« Tanjas Wangen sind rosig und sie scheint bester Laune zu sein.
Ich nicke und ringe mir ein Lächeln ab. »Klar. Schön, dass du noch mal vorbeischaust. Ich wollte dich ja eigentlich –«
»Nein, nein, kein Problem. Du hast schon genug für mich getan, Simon. Ich nehme mir ein Taxi.«
Mia
Ich klopfe an Simons Tür, aber ich kann keine Sekunde länger warten, ihm zu sagen, dass er bleiben soll, dass ich ihn nicht verlieren will, dass ich ihn brauche, genau wie er mich, dass ich versuchen will zu verstehen, was alles passiert ist. Also reiße ich sie einfach auf … und bleibe wie erstarrt im Türstock stehen. Tanja und Simon lösen sich abrupt voneinander und blicken mich mit erschrockenen Gesichtern an.
»Ich … äh …« Ich bringe kein Wort heraus, kriege keine Luft mehr, starre die beiden nur an. Ich habe das Gefühl, im falschen Film zu sein.
»Mia …« Simon macht einen Schritt auf mich zu und endlich schaffe ich es, mich aus meiner Starre zu lösen. Ich drehe mich um und renne den Korridor entlang, an meinem Apartment vorbei, Richtung Fahrstuhl. Wie eine Irre drücke ich auf den Knopf.
»Mia!« Es ist jetzt Tanja, die nach mir ruft, aber ich drehe mich nicht nach ihr um. Ich will nichts hören, erst recht nicht von ihr. Ich hatte die Sache mit den beiden verdrängt, hatte insgeheim gehofft, es wäre doch nur eine Affäre, nichts Ernstes, etwas, das ich mir vielleicht sogar nur eingebildet habe …
»Mia, jetzt warte doch!«
Der Fahrstuhl kommt und die Tür öffnet sich, da packt mich Tanja am Arm und reißt mich zu sich herum.
»Mia, jetzt hör mir doch mal zu!« Tanja schreit beinahe und ihre Augen haben einen verärgerten, energischen Ausdruck, was ich noch nie bei ihr erlebt habe. Aus den Augenwinkeln sehe ich Simon, der jetzt ebenfalls langsam den Gang entlang auf uns zukommt.
»Mia, ich weiß, was du denkst, vielleicht sogar schon länger annimmst, aber es stimmt nicht. Hörst du mir überhaupt zu? Bitte schau mich an.«
Mein Blick wandert unwillig zu ihrem Gesicht.
»Simon und ich haben nichts miteinander und da war auch nie etwas«, sagt sie eindringlich. »Ich habe einen festen Freund. Schon seit mehr als zwei Jahren. Und wir werden bald heiraten.«
Ich blicke sie verwirrt an. »Aber …«
Simon ist nun keine drei Meter mehr von uns entfernt, aber ich schaffe es nicht, ihm ins Gesicht zu schauen, meine Augen klammern sich an Tanja, die mir hier irgendeine irre Geschichte auftischt.
»Mia, ich hatte ein riesiges Problem und Simon hat mir geholfen, es zu lösen, das war alles.«
Ich schüttle den Kopf. »Was denn … für ein Problem?«, presse ich hervor.
»Ich habe keinen Schulabschluss, bin vor den Prüfungen abgegangen. Weil ich nicht lesen kann. Niemand wusste davon, noch nicht einmal mein Freund. Ich habe es geschafft, mich jahrelang irgendwie durchzumogeln und schließlich diesen Job hier zu ergattern. Und ich war so, so, so dankbar dafür. Ich dachte, jetzt könnte mir nichts mehr passieren und ich könnte weiter mit meinem Geheimnis leben, es ein für alle Mal verdrängen. Aber als mein Freund mir kürzlich einen Antrag machte und mir sagte, wir müssten wegziehen und ich könnte als Bürokraft in seiner neuen Firma arbeiten, da ist mein Leben wie eine Seifenblase zerplatzt. Ich wollte am liebsten die Beziehung mit ihm beenden, bloß um ihm nicht die Wahrheit sagen zu müssen. Da habe ich Simon kennengelernt und mitbekommen, wie er in der Bibliothek herumstöberte und sich ein Buch auslieh. Das fand ich ungewöhnlich und sympathisch und … na ja, irgendwann habe ich mich ihm anvertraut. Stimmt’s, Simon?«
Simon, der jetzt ein Stückchen hinter ihr steht, nickt und wirft ihr ein schwaches Lächeln zu.
»Wir haben uns getroffen, wenn er freihatte, und manchmal an den Abenden, wenn du ihn nicht brauchtest. Ich war ihm so dankbar. Er hat mit mir geübt, aber vor allem hat er mir klargemacht, dass ich mein Leben nicht wegwerfen, sondern mich Herausforderungen stellen muss. Ich kann jetzt schon viel besser lesen, das ist ein Erfolg. Aber der viel größere ist, dass ich es geschafft habe, mich meinem Freund anzuvertrauen. Und seither fühle ich mich so unglaublich befreit. Ich kann wieder richtig durchatmen und lachen und wir sind uns näher als je zuvor.«
Ich schlucke und merke, wie sich langsam ein dicker Knoten in meiner Brust löst. Tanja steht vor mir, mit leuchtenden Augen, und erzählt mir ihre
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