Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)
oft verschoben, und dann brachte er mich zu Driver ins Büro. Solange Jack anwesend war, hielt Driver sich mit seinem gewohnten Wahnsinn zurück. Seine Knopfaugen funkelten, und seine Barthaare zuckten, wenn er mich über den Schreibtisch hinweg anstarrte, aber es gelang ihm, sich zu bremsen. Nachdem Jack mehr als einen Monat lang jede Woche mitgekommen war, muss Driver die Nase voll gehabt haben, weil er dachte, er könne mich nie wieder allein sehen. Er gab sich geschlagen und sagte, ich brauchte nicht mehr zu erscheinen.
Während Jason und Domini in der Schule waren, konnte ich mir die Zeit nur mit Lesen vertreiben. Ich unterrichtete mich selbst, weil ich nicht zur Schule gehen durfte. Fast jeden Tag verbrachte ich in der öffentlichen Bibliothek von West Memphis und verschlang ein Buch nach dem anderen. Ich las die Romane von Stephen King so oft, dass die beiden Bibliothekarinnen, die dort arbeiteten, jede Neuerscheinung zurückhielten, damit ich sie als Erster lesen konnte. All das Wissen, das da an einem Ort versammelt war, hatte etwas Unheimliches. Es setzte die Bücher in ein gespenstisches Licht.
Schließlich befolgte ich den Rat meines alten Schulleiters und erwarb das Allgemeinbildungsdiplom. Ich hatte gehofft, ich würde dazu Unterricht nehmen müssen, aber da hatte ich Pech. Ich bestand die Prüfung auch so mit Bravour.
Weil ich immer noch die Antidepressiva nahm, die mir bei meinem ersten Aufenthalt in der Klinik verschrieben worden waren, musste ich in regelmäßigen Abständen im psychiatrischen Zentrum in der Stadt vorbeigehen, wo ein Arzt mir ein neues Rezept ausstellte. Sie machten sich nie die Mühe, mich erneut zu untersuchen oder die Frage zu stellen, ob ich die Medikamente überhaupt noch brauchte. Ich bekam das Rezept, als wäre es ein Pausenausweis.
Ich fand mein Leben ziemlich langweilig, aber Jerry Driver war offenbar anderer Ansicht. Eines Tages saßen Jason und ich in Jacks Trailer vor dem Fernseher, während er auf der Arbeit war. Es klopfte, und draußen stand Bo, ein Jugendlicher aus Lakeshore. Nass geschwitzt und atemlos kam er herein und nahm sich eine Limo, und dann erzählte er, Driver sei im Minimarkt um die Ecke und stelle Fragen über mich. » Er hat mich gefragt, in welcher Straße du wohnst, und ich habe gesagt, das weiß ich nicht « , sagte Bo ohne eine Spur von Ironie. Driver hatte jedem im Laden geraten, sich von mir fernzuhalten, denn früher oder später würde ich » einfahren «, und dann habe jeder, der bei mir sei, das gleiche Schicksal zu erwarten.
Als Jason das alles hörte, sah er mich erbost an. » Fuck, was tun wir denn? Wir tun überhaupt nichts, aber dieser Irre erzählt allen Leuten, wir würden ›verwahrlosen‹. Hat er keine echten Verbrechen aufzuklären? « Anscheinend nicht.
Das letzte Mal sah ich Driver vor meinem Prozess beim Eröffnungsspiel der Highschool-Footballmannschaft. Jason und ich gingen hin, weil wir absolut nichts anderes zu tun hatten. Danach mussten wir zu Fuß nach Hause gehen, und dabei fing mein alter Freund uns ab. Er war in den Straßen von Lakeshore herumgefahren und hatte mich wahrscheinlich gesucht. Er wollte wissen, wo wir hinwollten, was wir vorhätten, und so weiter. Als er mit seinem Verhör fertig war, gingen wir weiter zu Jasons Trailer, wo wir uns den ganzen Abend Horrorfilme anschauten. Ich habe diesen Zwischenfall dann vergessen, bis ich wegen Mordes vor Gericht stand und Driver als Zeuge aussagte. Er erzählte einen Haufen Lügen, unter anderem die, dass Jessie Misskelley an dem Abend mit uns unterwegs gewesen sei, dass wir alle drei Stäbe bei uns getragen hätten und in satanische Gewänder gehüllt gewesen seien. Nach seiner Überzeugung seien wir auf dem Heimweg von einer Teufelsanbetungsorgie gewesen. Die Geschworenen fraßen dieses Zeug, als wäre es Schokoladenpudding, begeistert von jeder schmutzigen Einzelheit – eine Geschichte aus der Boulevardpresse, gleich neben » Yeti gesichtet! « und » Fledermausjunge in Höhle geboren! « Das war Beweismaterial.
Das Elend meines Lebens bei Jack erreichte seinen Höhepunkt, als er entschied, ich bräuchte einen Job und sei außerstande, mir selbst einen zu suchen. In Wahrheit ist es praktisch unmöglich, jemanden zu überreden, dich einzustellen, wenn du kein Auto hast und niemand bereit ist, dich zur Arbeit zu fahren. Ich hatte es überall versucht. Jack überredete seinen Chef, mich bei ihm als Dachdecker arbeiten zu lassen.
Es war eine schwere, langweilige
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