Mein Name ist Eugen
Tutti schneiden werde, wenn er sein Manko bemerkt, wenn er zu suchen beginnt und den Wrigley frägt, ob er wisse wo sein Koffer sei, denn er bedürfe seiner. Die Antwort hatte Wrigley schon jetzt bereit, und er drehte sie in der Stille des Morgens zum viertenmal im Munde.
Also würde er zum Tutti sprechen:
«Lieber Freund, die Obhut über dein Besitztum ist meine Sache nicht.»
Aber welche Wendung brachte dieser Morgen, als der Wrigley sich als erster erhob, um seine Turnhosen aus dem Köfferchen zu graben, aber vor seinem Fussende nur eine Lücke klaffen sah. Zuerst kämpfte er tapfer einen naheliegenden Gedanken nieder, doch dann erhob sich auch der Tutti, machte sich hinter sein Köfferchen, nahm die Uhr heraus und alsbald eine Tafel Schokolade, roch
daran und sagte, ah, das sei Suchard, worauf er ein frisches Hemd aus den unteren Schichten zog: Wie tue es doch gut, des morgens in frischem Hemd zum Zelt hinaus, und das tat und sagte er im Angesicht des Wrigley, der erschrocken und ahnungsvoll zum Schweigen verdammt war.
Lieber Leser, hole du einmal des Nachts, wenn eventuelle Zeugen die Augen geschlossen haben, deinen Koffer zum zweiten Mal aus der Tiefe einer Abfallgrube, den Koffer, den du mit selbsteigener Hand zuvor versenktest, dann wird dich der Ausspruch des Wrigley kaum noch wunder nehmen, den er am folgenden Morgen tat:
Er habe während der letzten vierundzwanzig Stunden um mindestens zehn Jahre gealtert.
Sein Zustand wurde denn auch so besorgniserregend, dass ich ihm ein Inserat zeigte, das ich auf der Latrine in der Allgemeinen Volkszeitung gefunden hatte:
«Omars Traubenkur verjüngt Ihr Nervensystem.»
Doch der Wrigley liess es unbeachtet fahren und sagte, nur der Tod könne ihm noch helfen.
In kürzester Zeit veränderte er sein ganzes Wesen.
Wenn er im Lager herumging, so haftete sein Blick auf weiten Fernen, und sein Gesicht war eine Duldermiene, und wenn ihn der Führer fragte, was in ihm vorgegangen sei, so blickte er erst ergeben zum Himmel, seufzte dann und sagte:
«Lieber Freund! Jeder Mensch hat seine Last zu tragen, und so will auch ich nicht klagen.»
Und dann ging er versonnen an den See und setzte sich auf einen Felsen. Er sagte, es sei beruhigend, den Blick in die Fluten zu vertiefen, und am Abend ging er vors Zelt hinaus und sah zu den Sternen empor: Auch dieses — so vertraute er uns an — verleihe der Seele ihren Frieden: Unter dem unendlichen Himmelsraum werden die menschlichen Sorgen klein; und als er nach Hause schrieb, bestellte er zwei Bände Goethe.
Oft wollte ich den Wrigley aufmuntern, aber wenn ich tröstend zu ihm sprach, dann sah er mich bedauernd an und sagte:
«Sieh Eugen, in jedem Menschenleben kommt einmal eine Wendung, und wer vom Schicksal schwer geprüft ist, der soll sich nicht auflehnen, wohl aber sonder Groll annehmen, was ihm zugeteilt ist.»
So veränderte sich sein Charakter in erschreckendem Ausmass.
Nach drei Tagen schon sagte er, er werde jetzt ein neues Leben beginnen; und richtig, er wurde ganz komisch: Fleisch ass er keines mehr, und seine Fischrute, die er mit mir verfertigt hatte, zerbrach er über dem Knie, wobei er etwas von «Leben und Lebenlassen» murmelte, und: Fischen sei eine Sünde.
Der Wrigley hörte auf, im Versteckten zu rauchen, vom Schiggen gar nicht zu reden, und als er am Weg hinter dem Wäldchen einen Spatz fand, der einen Flügel hangen liess, holte er im Samariterzelt Watte, bettete ihn in ein Nest und pflegte ihn nicht nur, sondern hielt Nachtwache: Solches seien wir der seufzenden Kreatur schuldig, so drückte er sich aus.
Überhaupt, was das Ausdrücken anbetrifft, so liess er uns in dieser Zeit auf unsere Rechnung kommen: Alles was er je gelesen hatte, flocht er nun mit Schmalz in seine Rede ein, und gelesen hatte er viel, nämlich jeden Abend daheim unter der Bettdecke beim Licht der elektrischen Bettflasche — damit der Vater ihn nicht erwischte. Er frass sämtliche Bücher, welche er der Köchin abluchsen konnte, und noch viel anderes dazu.
Die Sache mit dem Spatz brachte ihn schliesslich auf die entscheidende Idee: Am vierten Abend, als der Mond so schien, da sagte er, er habe Lust, mit mir zu wandeln. Er wolle mit mir bis an den Bach. Dort habe es einen moosichten Stein, auf dem sei gut ruhen, sagte das Kalb.
Dort am Bach fing er nach einer feierlichen Einleitung wieder mit dem Spatz an: Es sei des Menschen heerste Pflicht, für die Tierwelt einzustehen. Der Franz von Assisi, welcher eine ganz
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