Mein Sommer nebenan (German Edition)
wäre ich nicht der richtige Umgang für dich.« Er dreht sich um und bockt das Motorrad auf.
»Tut mir leid«, entschuldige ich mich reflexartig und ziehe ebenfalls den Helm ab.
Er schaut mich immer noch nicht an, kickt einen Kieselstein weg. »Das war das erste Mal, dass ich deiner Mom persönlich begegnet bin. Ich hab bisher gedacht, sie wäre einfach streng, was dich angeht. Mir war nicht klar, dass es dabei um mich geht. Oder um meine Familie.«
»Das tut es nicht. Nicht wirklich.« Meine Sätze kommen abgehackt, als würde ich nicht genug Luft bekommen. »Es liegt an ihr. Sie hat … Sie ist … Sie gehört leider zu den Leuten, die im Supermarkt blöde Kommentare von sich geben. Aber ich bin nicht so.«
Jase hebt das Kinn und sieht mich lange an. Ich erwidere seinen Blick, versuche ihn stumm dazu zu bringen, dass er mir glaubt.
Seine Miene ist eine hübsche, unleserliche Maske, die ich noch nie an ihm gesehen habe. Plötzlich werde ich wütend. »Lass das, hörst du. Beurteile mich nicht danach, wie meine Mutter denkt und handelt. Ich bin ich. Und wenn du mich mit ihr in einen Topf wirfst, dann bist du nicht besser als sie.«
Statt zu antworten, gräbt Jase mit der Schuhspitze ein kleines Loch in den Sand. »Ich weiß nicht«, sagt er schließlich. »Mir ist einfach aufgefallen, dass … na ja … du gehst bei uns zu Hause ein und aus, kennst meine Familie … Du bist so etwas wie ein fester Bestandteil meiner Welt geworden. Aber wo ist mein Platz in deiner Welt? Ich meine, du hast noch nicht einmal deiner besten Freundin von mir erzählt. Ich habe noch nie …« Er fährt sich mit beiden Händen durch die Haare und schüttelt den Kopf, »… bei dir zu Hause zu Abend gegessen. Oder … keine Ahnung … deine Schwester kennengelernt.«
»Sie jobbt den Sommer über auf Martha’s Vineyard«, sage ich leise.
»Du weißt, was ich meine. Du gehörst überall dazu und bist immer willkommen. In meinem Zimmer, im Baumarkt, beim Training. Du bist … einfach da. Wo gehöre ich in deinem Leben dazu? Ich weiß es einfach nicht.«
Mir wird es eng in der Kehle. »Du gehörst auch in meinem Leben überall dazu.«
»Ist das so?« Er hört auf im Sand zu graben und tritt einen Schritt auf mich zu. Sein Körper strahlt Wärme aus, in seinen Augen liegt ein verletzter Ausdruck. »Bist du dir da sicher? Bis jetzt scheine ich es nur bis auf dein Dach geschafft zu haben – oder in dein Zimmer. Bist du wirklich sicher, dass du nicht nur … ich weiß nicht … dass das alles für dich nicht nur ein kleiner Ausflug in das Leben einfacher Leute ist? So eine Art … keine Ahnung … Elendstourismus.«
»Elendstourismus? Ist das nicht ein bisschen übertrieben? Du lebst nicht im Slum, sondern direkt nebenan.«
Jase versucht zu lächeln, aber es gelingt ihm nicht. »Du musst zugeben, Sam, dass deine Mom mich angeschaut hat, als wäre ich eine fiese Kellerassel und nicht bloß der Junge von nebenan. Die Chancen, dass sie eine einstweilige Verfügung gegen mich erwirkt, stehen wahrscheinlich höher, als dass sie mich zum Abendessen einlädt.«
Erleichtert, dass er wieder Witze machen kann, lege ich den Helm aufs Motorrad. »Sie ist meine Mutter, Jase. Niemand ist gut genug für mich. Jedenfalls in ihren Augen. Meinen ersten Freund, Charley, hat sie für ein abartiges Sexmonster gehalten, der mich benutzen und dann wegwerfen wollte, und Michael, der Emo, den wir im Clam Shack gesehen haben, war für sie ein drogensüchtiger Psychopath, der es nur darauf abgesehen hatte, mich erst anzufixen und dann den Präsidenten zu ermorden.«
»Man sollte meinen, dass ich im Vergleich dazu eigentlich gar keine so schlechte Partie bin. Aber das sieht sie anscheinend anders.« Er zieht eine Grimasse.
»Es lag am Motorrad.«
»Ach ja?« Jase greift nach meiner Hand. »Dann erinnere mich daran, beim nächsten Mal Joels Lederjacke anzuziehen.«
Er deutet auf die andere Seite des Spielplatzes, wo der McGuire Park sich von einer vorbildlich gepflegten Anlage, in der nichts dem Zufall überlassen wurde, in ein Dickicht aus Sträuchern mit wild wachsenden Beeren verwandelt, hinter dem sich ein Labyrinth aus Felsgeröll verbirgt, das bis zum Fluss hinunter reicht.
»Du kennst den Geheimplatz?«, frage ich.
»Ich dachte, es wäre nur meiner.« Er lächelt mich an – noch ein bisschen zögernd, aber er lächelt. Mir fällt Mom ein. Lächle, Samantha. Jetzt brauche ich niemanden, der mich dazu auffordert. Das Lächeln kommt ganz von allein.
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