Mein Vater der Kater
und suchten das Weite.
»Gib eine Anzeige in der Times auf«, riet ihre Schwägerin Joanie. »Eine ganz brutal offene. Wie diese Polarforscher.«
»Polarforscher?«
»Peary oder so jemand. Der hat per Anzeige Leute gesucht, die bereit sein mußten, unglaubliche Härten, einen geringen Verdienst und ein bescheidenes Maß an Ruhm hinzunehmen.«
»Hat‘s funktioniert?«
»Und wie. Er mußte sogar Leute abweisen.«
Filene kritzelte ihren Anzeigentext auf einen Notizblock:
RAUMPFLEGERIN GESUCHT, VON DER DAS UNMÖGLICHE ERWARTET WIRD.
BEKANNTE KÜNSTLERIN SUCHT TAPFERE SEELE, DIE SICH EINER RIESIGEN, UNORDENTLICHEN DACHWOHNUNG IN MIDTOWN ANNIMMT. BIETE SEHR ORDENTLICHE BEZAHLUNG UND VIEL MITGEFÜHL.
Die Anzeige des Polarforschers war erfolgreicher gewesen – Filenes weckte das Interesse von gerade mal drei Frauen. Die erste war kaum einsfünfundfünfzig groß, und obwohl Filene ihr eiligst versicherte, daß die vierzehn Fenster nicht zum Job gehören würden, fing die Frau beim Anblick der vielen Glasscheiben an zu zittern.
Die zweite Bewerberin war eine Schreckschraube, der Filene auf der Stelle absagte.
Die dritte war überraschend jung, etwa Mitte zwanzig, leichtgewichtig und mit einem zwar winzigen Gesicht, aber Augen, die so vergrößert waren wie die der Menschen auf Bildern von Keane. Diese Augen wurden sogar noch größer, als sich die junge Frau im Atelier umsah und von der Zahl der Leinwände tief beeindruckt war. Sie hieß Paula – ihr Familienname bestand aus einer Abfolge von Cs und Zs, mit der Filene absolut nicht klarkam. Die junge Frau räumte Mangel an Erfahrung ein, verlieh jedoch auch der Bereitschaft Ausdruck, arbeiten zu wollen. Filene handelte wie immer – impulsiv und fragte, wann Paula anfangen könne.
»Morgen?« sagte Paula. Filene schlug den Montagmorgen vor.
Filene malte mit Kohle Umrisse auf eine neue Leinwand – es sollte ein ehrgeiziges Stilleben werden. Paula erschien pünktlich um neun und mußte nicht gesagt bekommen, wo sie anfangen sollte. Die Überreste des Abendessens vom Vortag standen noch auf dem Tisch, das unabgewaschene Geschirr von drei Tagen war in der Spüle aufgetürmt. Abgesehen von einem fröhlichen »Guten Morgen« gab Paula nichts von sich. Keine Fragen, keine Bemerkungen – und Filene war ihr dafür dankbar. Stille war die beste Begleiterin ihrer Arbeit.
Die Putzfrau war um sechs immer noch da. Filene bemerkte die Überstunden erst, als sie eine Kirchturmuhr die Stunde schlagen hörte. Sie meinte daraufhin zu Paula, sie solle doch, um Himmels willen, endlich nach Hause gehen.
»Es ist noch so viel zu tun«, erwiderte Paula mit wehmütigem Drängen.
»Morgen ist auch noch ein Tag«, sagte Filene. Und natürlich zog ein neuer Tag herauf, an dem Paula wieder ebenso schwer und ebenso lange arbeitete. So blieb es bis zum Ende der Woche, und Filene war dankbar, fühlte sich gleichzeitig aber auch schuldig.
»Sie müssen damit aufhören, Paula«, sagte sie. »Es ist wahrscheinlich sogar ein Verstoß gegen die Arbeitsgesetze.«
»Aber mir macht es nichts aus«, beteuerte Paula. »Mir paßt es so sehr gut. Halb sieben gehe ich in ein Restaurant in der Sixth Avenue, das heißt SHERRY‘S, und...« Sie verstummte, und Filene drang nicht weiter in sie. Sie fragte sich, ob Paula sich dort mit ihrem Freund traf, und dachte darüber nach, wer Paula wohl attraktiv rinden würde. Ihre Augen waren das einzig Hübsche an ihr.
In den folgenden zwei Wochen arbeitete Paula täglich bis sechs Uhr abends, und obwohl Filene ihr vorgeschlagen hatte, wenigstens etwas später anzufangen, läutete die Haustürglocke nach wie vor um neun Uhr.
Und das Atelier! Filene hatte es noch nie so makellos sauber, so aufgeräumt gesehen – und doch war Paula nicht damit zufrieden. Sie bemängelte die Arbeit der Fensterputzer, und eines Nachmittags traf Filene sie an, wie sie, auf der obersten Sprosse einer Leiter stehend, die Scheiben mit zusammengeknülltem Zeitungspapier putzte. Filene hatte daraufhin mit ihr geschimpft und ihr das Versprechen abgenommen, die Fenster fortan wieder den kräftigen Draufgängern zu überlassen, die ein Liedchen pfiffen, während sie fünfzehn Stockwerke hoch über der Straße hingen.
Eine Woche später ging Filene zu einer Vernissage in einer Galerie in der West Side, und der Abend war so mild, daß es ein Verbrechen gewesen wäre, nicht zu Fuß nach Hause zu gehen. Es war fast sieben, als sie die Sixth Avenue überquerte und das tiefrote Neonleuchten
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