Mein Vater der Kater
eines Restaurant-Namens bemerkte. Sie las CHERI‘S, war aber sicher, daß es eben jenes war, welches Paula erwähnt hatte.
Ob es nun der Übermut war, der die Oberhand gewann, oder die Neugier, jedenfalls ging Filene hinein. Am Empfang versuchte sie so auszusehen, als sei sie noch unentschlossen, und ließ dabei ihre Blicke suchend durch den verqualmten Raum wandern. Da wurde ihr plötzlich klar, daß sie sich geirrt hatte. Paula war nicht Gast, sondern Kellnerin.
Filene wachte um vier Uhr in der Nacht auf, und ihr letzter Traum zerfiel wie ein Puzzlespiel in lauter Stücke. Als sie die wieder zusammensetzte, sah sie nicht wie sonst ein gemaltes Bild vor sich, sondern Paula in gelber Arbeitskleidung, die viel zu groß für ihren schmächtigen Körper war. Die großen Augen waren von Müdigkeit gerötet.
Am Morgen ließ Filene ihre Putzfrau nicht in die Küche. Sie zeigte mit einem Pinsel auf Paula und sagte: »Setzen Sie sich.«
Paula sah sie besorgt an. Als ihre großen Augen dabei noch größer wurden, registrierte Filene mit Erleichterung, daß sie klar und fast so rein wie Diamanten waren. Sie war beeindruckt. Diese junge Frau arbeitete täglich zwölf bis vierzehn Stunden! Sie selbst arbeitete auch fast so lange, aber ihre Arbeitgeberin war ja schließlich die Kunst, und sie arbeitete aus Liebe zu ihr.
»Ich war gestern abend bei CHERI‘S«, sagte Filene. »Warum haben Sie mir verschwiegen, daß Sie zwei Jobs haben?«
Paula biß sich auf die dünne Lippe. »Ich wollte nicht, daß Sie davon wissen«, gab sie dann ohne Umschweife zu. »Sie hätten vielleicht gedacht, daß ich meine Arbeit als Putze nicht ordentlich mache, wenn ich auch abends noch –«
»Ich denke nicht an Ihre Arbeit, sondern an Sie. An Ihre Gesundheit! Sie können doch nicht Tag und Nacht arbeiten, Paula! Warum machen Sie das?«
»Nun ja... halt wegen dem Geld.«
»Zahle ich Ihnen nicht genug? Wir können gern über eine Erhöhung sprechen –«
»Nein, nein, Miss! Sie zahlen mir eigentlich schon zuviel. Ich weiß, was Putzfrauen so verdienen –«
»Was ist es dann? Ich möchte nicht indiskret sein, Paula, wahrscheinlich hat es ja sehr persönliche Gründe. Aber ich würde es wirklich gern verstehen.«
Paula blickte auf den Parkettfußboden hinab, der dank ihrer Bemühungen jetzt sauber und blank war. »Es ist ein Bild, Miss.«
»Ein was?«
»Ich spare, um mir ein Bild kaufen zu können. Eins von Ihren. O nein, kein großes. Vielleicht nur eine Zeichnung, was ich mir halt leisten kann. Deshalb brauche ich den anderen Job. Damit ich soviel wie möglich sparen kann...«
Filene spürte, wie ihre Beine schwach wurden. »Ein Bild von mir? Deshalb der ganze Aufwand?«
»Ich möchte so gerne eins haben, Miss. Sie malen die schönsten Bilder, die ich je gesehen habe. Ich weiß, daß sie mehr wert sind, als ich aufbringen kann, aber vielleicht in ein, zwei Jahren...«
Bei der Vernissage hatte ein Herr Filene beiseite genommen und ihr gesagt, er sei Bankdirektor und an einem ihrer großformatigen Bilder für sein Büro interessiert. Geld spiele keine Rolle. Filene war beglückt gewesen, aber bei weitem nicht so beglückt wie in diesem Augenblick, in dem sie auf den gesenkten Kopf einer jungen Frau hinabblickte, die Wohnungen putzte und in verräucherten Restaurants bediente.
»Paula«, sagte Filene, »würden Sie mir einen Gefallen tun? Würden Sie bei CHERI‘S Bescheid sagen, daß Sie dort nicht mehr arbeiten können? Wenn Sie mir diesen Gefallen tun, dann tu ich Ihnen auch einen. Ich schenke Ihnen eines meiner Bilder.«
Am nächsten Morgen war Paula zum ersten Mal unpünktlich. Filene, die um halb sieben zu malen begonnen hatte, bemerkte die Säumigkeit erst, als es schon zehn war. Dann erinnerte sie sich an Paulas Gesichtsausdruck, als sie ihr das in Zeitungspapier eingewickelte Bild überreicht hatte, das die auf einer Bank sitzende Sheba Lewis zeigte und Frau im Park hieß (obwohl es in ihrem Atelier entstanden war). Sie stellte sich vor, wie Paula es sich gerade anschaute und zu entscheiden versuchte, wo sie es in ihrer – höchstwahrscheinlich winzigen – Wohnung hinhängen sollte.
Zu einem entsprechenden Entschluß zu kommen dauerte wohl doch länger, als sie, Filene, gedacht hatte, denn auch um zwölf war Paula noch nicht da. Filene hatte sie nie nach ihrer Telefonnummer gefragt, weshalb sie sie nicht erreichen konnte – nicht an diesem Tag, nicht am nächsten, auch nicht am übernächsten oder in der nächsten Woche.
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