Mein verräterisches Herz: Roman (German Edition)
ihrer Kindheit und Jugend auf Crag Island erzählt hatte, konnte er Sarahs Fernsehsucht gut verstehen. Nahezu alles, was sie von der wirklichen Welt wusste, hatte Sarah vom Fernsehen oder aus ihrer Lektüre bezogen. Alex fand es beunruhigend, dass Sarahs Wahrnehmung vom Leben von Ratgeber-Sendungen und idealisierten Romanhelden geprägt wurde. Das Schlimmste jedoch war, dass sie tatsächlich zu wissen glaubte, wie es auf der Welt zuging.
Da war ja Delaney noch weniger naiv als Sarah, besonders im Hinblick auf Männer. Seine in einem absoluten Männerhaushalt aufwachsende Tochter kannte die guten, schlechten und hässlichen Seiten wirklicher Männer. Sarahs Erfahrung beschränkte sich hingegen auf eine Parade von Sexprotzen, einen Tyrannen von Ehemann sowie einen Vater, der nach dem Tod seiner Frau jeden Lebenswillen verloren hatte.
Aus diesem arg engen Blickwinkel hatte Sarah offenbar geschlossen, wahre Helden existierten nur in Büchern und im Fernsehen, und die Suche nach einem solchen Exemplar sei reine Zeitverschwendung.
Alex hielt den Wagen an und schaltete den Motor aus, als die Straße zu einem murmelnden Bach gelangte. »Hat aus der Schar deiner Anbeter jemals einer etwas von Liebe verlauten lassen, Sarah?«, fragte er in dem Moment, als sie die Tür öffnen wollte.
Sie hielt mit der Hand am Türgriff inne. »Was?« Sie sah ihn verwirrt und mit kraus gezogener Stirn an. »Liebe? Was meinst du damit?«
»Genau das eben. Hat einer von ihnen jemals gesagt, dass er dich liebt?«
»Aber sicher«, antwortete sie geringschätzig. »Einige schon. Gibt es eine bessere Methode, ein Mädchen ins Bett zu kriegen, als eine Liebeserklärung?«
»Im Lauf der Jahre haben dir also einige Männer erklärt, dass sie dich lieben, und du hast ihnen nicht geglaubt.«
Sie öffnete ihre Tür und schlüpfte hinaus. »Sie haben bloß meinen Körper geliebt. Was bringt dich darauf?«
Alex zuckte die Schultern und öffnete die Tür auf seiner
Seite. »Eigentlich nichts.« Er stieg aus. »Mir ist etwas eingefallen, das Delaney neulich zu mir gesagt hat.«
»Und was war das?«
»In der Schule sei ein Junge, der sage, dass er sie liebe.«
»Kurz bevor er sie zu küssen versuchte, möchte ich wetten«, murmelte Sarah. »Ich werde mit ihr reden.«
»Schon erledigt«, erklärte Alex und hob die Hand, um ihrer wachsenden Besorgnis Einhalt zu gebieten. »Es würde sie in Verlegenheit bringen, wenn sie erführe, dass du von dem Jungen weißt.«
»Aber warum? Das ist Mädchenkram.«
»Nein, das ist Vater-Tochter-Kram«, gab Alex lachend zurück, langte in den Laderaum und holte seine Vermessungsinstrumente hervor. »Sie hat mich gefragt, weil ich ein Junge bin, falls dir das entgangen sein sollte. Delaney wollte wissen, ob ein tüchtiger Schubs sein Werben beenden oder ihn eher ermutigen würde.«
»Und was hast du geantwortet?«
Alex blinzelte ihr zu. »Ich habe die Wahrheit gesagt: dass Männer die Herausforderung lieben.«
Sarah starrte ihn verblüfft an, griff dann plötzlich in den Laderaum und holte die Messlatte hervor, die mindestens einen halben Meter größer war als sie. Alex fürchtete einen Moment, sie würde ihm damit einen Schlag versetzen, doch sie drehte sich um und marschierte auf den Bach zu.
Schmunzelnd stellte er sein Stativ auf und befestigte den Theodoliten daran. »Vorsicht im Wasser!«, rief er ihr zu. »Die Steine sind vereist.«
»Seit meinem dritten Lebensjahr klettere ich schon auf vereisten Steinen herum«, rief sie ihm scharf über die Schulter
zu und stützte sich im Wasser auf die Messlatte. Alex sah zu, wie sie vorsichtig ans andere Ufer watete, wo sie stehen blieb und sich zu ihm umdrehte. »Was jetzt?«
»Halte Ausschau nach einem orangegelben Band an einem Baum ein Stück weiter die Straße hinauf.« Er packte sein Stativ und trug es zu einem flachen Stein am Ufer, den er als Bezugspunkt wählte. »Wenn du das Band gefunden hast, schaufle den Schnee darunter weg. Du findest dann einen Metallstab, der in der Erde steckt.«
Sie suchte beide Seiten des Straßengrabens ab, als sie langsam den sanft ansteigenden Weg entlangging. Sie war etwa dreißig Meter weit gekommen, als sie stehen blieb, auf die rechte Seite des Weges ging und anfing, den Schnee mit ihren Stiefeln wegzuscharren.
»Gefunden«, rief sie ihm zu. »Und was jetzt?«
Alex blickte durch die Linse des Theodoliten. »Platziere das untere Ende deiner Latte auf dem Boden neben dem Stab«, rief er ihr zu. Er richtete sich auf und
Weitere Kostenlose Bücher