Mein verruchter Marquess
Brüdern? Der Inferno Club? Seine Reisen?
Seine Liebe zu ihr?
Bei diesem Gedanken stiegen ihr Tränen in die Augen, aber sie schüttelte den Kopf. Welche Lügen er ihr auch immer erzählt haben mochte, sie konnte nicht glauben, dass ihm nichts an ihr lag.
Andererseits - wenn er ihre Gefühle erwiderte, so wie er es behauptet hatte, wie konnte er sie dann so betrügen?
Falls er sie wirklich liebte, warum konnte er ihr dann nicht die Wahrheit sagen? War es so schrecklich?
Sie wagte kaum, sich vorzustellen, was sie finden würde, als sie die Schlafzimmertür hinter sich schloss und sich wappnete, auf alles gefasst.
Vielleicht würde sie es bereuen, wenn sie die Wahrheit herausgefunden hatte, aber sie musste einfach wissen, was hier geschah.
Ihre Gedanken überschlugen sich. Was würde sie entdecken? Dunkle Geschäfte? Ein illegitimes Kind, das er irgendwo versteckte? Persönliche Rachefeldzüge?
Zumindest war sie davon überzeugt, dass es nichts mit einer anderen Frau zu tun hatte, denn warum sollte dann Virgil darin verwickelt sein? Aber falls sie sich täuschte und er irgendwo eine Mätresse unterhielt, dann würde er die Hölle auf Erden erleben, das gelobte sie.
Sie ging quer durch das dunkle Zimmer zu der kleinen Nische mit der Vase, die sie auf das Bett legte. Dann hielt sie ihre Kerze näher hin und tastete in der Nische umher. Sie versuchte, die gewölbte Rückseite nach oben zu schieben, wie sie es zuvor bei ihm gesehen hatte, doch es gelang ihr nicht.
Schließlich erinnerte sie sich an den Federmechanismus des gleichfalls versteckten Safes, der in ihrem Schrank eingebaut war. Sie stieß den Alkoven ein wenig mit dem Finger an und holte tief Luft, als sie das Klicken in der Wand hörte.
Es funktionierte. Jetzt, so stellte sie fest, konnte sie die Rückseite des Alkovens nach oben schieben. Genial, dachte sie.
Als die Rückwand des Alkovens aus dem Weg war, konnte das kleine Regalbrett, auf dem die Vase gestanden hatte, wie
eine Schublade nach vorn gezogen werden.
Mit wild klopfendem Herzen warf sie einen Blick über die Schulter zurück, um sicherzugehen, dass die leisen Geräusche, die sie verursacht hatte, ihn nicht gestört hatten. In dem anderen Zimmer blieb alles still.
Angst durchfuhr sie, jetzt, da der Moment der Wahrheit zum Greifen nahe war. Sie nahm ihren Mut zusammen und schob ihre Hand in das kleine dunkle Versteck, um herauszufinden, was dort verborgen war.
Langsam zog sie die kleine Phiole mit der Flüssigkeit hervor, die vorhin den Raum mit ihrem Gestank erfüllt hatte.
Sie legte sie beiseite, ein großes Stück entfernt von der Kerze, denn ihr war klar, dass die Flüssigkeit vielleicht entflammbar sein könnte. Ein zweiter beherzter Griff in das dunkle Loch förderte ein kleines Tintenfass zutage, aber warum sollte man Tinte verstecken? Außer, es war die Sorte Tinte, die man für unsichtbare Schrift benutzte.
Gleich darauf zog sie eine kleine Pistole hervor. Nun, das war eindeutig, auch wenn es sie überraschte, dass er eine geladene Waffe in seinem Schlafzimmer versteckte. Besorgt legte sie auch die Waffe beiseite.
Mit dem nächsten Griff fand sie eine flache Scheibe, so groß wie ihre Hand. Um den Rand herum standen Blockbuchstaben geschrieben, und auf der ersten war eine zweite Scheibe befestigt.
Sie untersuchte das seltsame Ding und stellte fest, dass die obere Scheibe gedreht werden konnte, sodass die Buchstaben sich in jeder beliebigen Reihenfolge anordnen ließen. Sie wusste nicht, was das sein sollte. Als sie wieder in das Versteck griff, fand sie ein kleines Objekt aus Metall.
Gespannt hielt sie es an das Licht der Kerze und sah, dass es sich um einen Herrenring aus schwerem Gold handelte. Sie hielt den Ring näher an die Kerze, um zu sehen, welches Bild er zeigte. Wie seltsam.
Das Zeichen auf dem Ring passte zu dem weißen Malteserkreuz, das sie auf den Porträts seiner Ahnen und in der Familienkapelle gesehen hatte.
In was bin ich da nur hineingeraten? Noch immer hatte sie darauf keine Antwort. Bisher hatte sie nur die Bestätigimg
ihrer schlimmsten Befürchtungen gefunden - dass er sie belog. Sie verstand es nicht. Wenn man jemanden liebte, wenn man ihm nur das kleinste bisschen Respekt entgegenbrachte, dann war man ehrlich zu dem geliebten Menschen.
Sie wischte sich eine Träne fort und griff ein letztes Mal in das nun beinahe leere Versteck. Endlich, ganz unten, ertastete sie Papier. Ihr Mund war trocken vor Unbehagen, als sie langsam Virgils Brief
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