Mein Wille geschehe
übernom-
men, sie war seit sieben Jahren für die Kanzlei
tätig, erledigte auch öde Arbeiten, ohne zu mur-
ren, und wartete geduldig den rechten Moment
ab.
Ihrer Ansicht nach war sie ohne Frage die Beste
in der Truppe. Nach ihr wurde am meisten ver-
langt, und sie hatte locker doppelt so viele Stunden abgerissen wie ihre elf Kollegen in der Kanz-
lei. Außerdem war sie in den letzten Jahren häu-
fig von der Geschäftsleitung belobigt worden, weil sie der Kanzlei neue Mandanten zuführte. Damit
sollte sie ihrer Meinung nach mehr als gute Kar-
ten haben, um Sozius zu werden.
Die nicht gerade frauenfreundliche Geschichte der Kanzlei war ihr natürlich nicht verborgen geblieben. Wie konnte sie auch. Doch Joan war der An-
sicht, dass sie ein Ass im Ärmel hatte. Dana
McAuliffe nämlich, die ganz unbestritten den
Durchbruch geschafft hatte. Und Dana war über
alles erhaben, glaubte Joan.
Sie war glatt wie Satin, weich wie Kaschmir, hart wie Stahl und ein Top-Profi, und der einzige weibliche Sozius der Kanzlei war das Vorbild der an-
206
gestellten Anwältin. Die männlichen Kollegen ver-
suchten Paul Cotter oder Elton Grace nachzuei-
fern, doch Joan war froh, jemanden wie Dana zu
haben, um ihr Handwerk zu lernen. Als man sie
fragte, ob sie die stellvertretende Verteidigung im Latham-Prozess übernehmen wolle, wusste die
zweiunddreißigjährige Anwältin, dass dies ihre
Bewährungsprobe war. Man hörte Gerüchte, dass
im nächsten Jahr ein neuer Sozius ernannt wer-
den sollte, und außer ihr gab es nur zwei Kandi-
daten. Sie war überzeugt, dass sie das Rennen
machen würde, wenn sie jetzt bei diesem größten
Fall der Kanzlei gut abschnitt.
Sie wusste auch, dass Dana sich für sie einsetzen würde. In den letzten Jahren hatten sich die beiden Anwältinnen angefreundet. Wenn sie im Ess-
raum zusammensaßen, unterhielten sie sich über
Fachfragen, aber auch über Schuhe oder Joghurt-
Sorten. Wenn sie beide lange gearbeitet hatten,
gingen sie manchmal zusammen essen. Und ein-
mal war Joan auch mit zu den Symphonikern ge-
kommen, um Sam spielen zu hören.
Manchmal kam es vor, dass jemand aus der
Kanzlei sie verwechselte, doch dafür gab es ei-
gentlich keinen Grund, denn sie unterschieden
sich in Größe und Statur beträchtlich. Außerdem
trug Joan hauptsächlich Grau und Dunkelblau,
Dana dagegen weiche Farben. Beide waren blond,
doch Joans Haare schimmerten rötlich, und sie
trug sie nicht schulterlang wie Dana, sondern
207
kürzer. Auch ihre Augen waren unterschiedlich:
Joan hatte hellbraune, leicht schräg stehende Au-
gen, die von Dana dagegen waren groß und dun-
kelbraun. Dennoch gab es eine gewisse Ähnlich-
keit zwischen den beiden Frauen, die den meisten
Leuten nicht entging.
»Ich war sicher, dass einer der Teilhaber die
stellvertretende Verteidigung übernehmen wür-
de«, sagte Joan aufgeregt. »Oder zumindest ei-
ner der Jungs.«
»Die Entscheidung lag bei mir«, sagte Dana und
zuckte die Achseln. »Und Paul Cotter steht dahin-
ter.« Er war sogar ausgesprochen begeistert ge-
wesen, als Dana mit ihm darüber gesprochen
hatte.
»Versteh mich bitte nicht falsch, ich freue mich
sehr über die Chance«, fügte Joan hastig hinzu.
»Aber ich möchte dir gleich sagen, auch wenn ich
sie damit wieder verlieren sollte, dass ich für das Recht auf Abtreibung bin.« Dana lächelte. »Das
macht nichts«, sagte sie. »Du befindest dich in
guter Gesellschaft.«
»Naja, was ich damit so dezent wie möglich sa-
gen will, ist, dass unser Mandant mir nicht gerade sympathisch ist.«
»Das ging mir zu Anfang auch so«, gab Dana zu.
»Aber du solltest dich mal mit ihm beschäftigen.
Dann bist du vielleicht anderer Meinung.«
Joan zog zweifelnd eine Augenbraue hoch. »Willst
du mir etwa sagen, du hältst ihn für unschuldig?«
208
»Nein. Ich will damit sagen, dass er es verdient
hat, dass man beide Optionen erwägt.«
Das war keine direkte Antwort auf Joans Frage,
doch Joan hatte großen Respekt vor Danas Intel-
ligenz und Urteilsvermögen.
»Interessanter Ansatz«, murmelte sie. Wenn sie
dazu beitrug, dass Corey Latham im Aufsehen
erregendsten Prozess, den es im Bundesstaat
Washington je gegeben hatte, freigesprochen
wurde, dann würden die Partner von Cotter und
Boland sie gewiss nicht mehr übergehen können.
»Ich bin Joan Wills«, sagte sie zu dem Mann, der
des Anschlags auf Hill House angeklagt war, als
sie ihm an dem Stahltisch in
Weitere Kostenlose Bücher