Mein Wille geschehe
in der Ausübung seiner persönlichen
Freiheit beschneiden sollte. Und deshalb unter-
stütze ich ihn. Wenn wir im Stande sind, in eine
Wahlkabine zu treten und uns für den Kandidaten
unserer Wahl zu entscheiden, warum sollten wir
dann nicht auch fähig sein, andere Entscheidun-
gen eigenverantwortlich zu treffen?«
»Manche Leute scheinen den Anschlag auf Hill
House für unvermeidlich zu halten«, entgegnete
King. »Und sie glauben auch, dass eine weitere
Politik der legalisierten Abtreibung nur weitere
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Gewaltakte hervorrufen könnte.« Priscilla zuckte
die Achseln. »Eine Dreiviertel-Mehrheit der Be-
völkerung dieses Staates spricht sich für die Ab-
treibung aus«, sagte sie. »Was sollen wir also
tun? Die Mehrheit achten, wie wir es seit jeher
getan haben? Oder uns der Minorität unterwer-
fen, weil sie anfängt, Bomben zu legen, wenn sie
nicht bekommt, was sie will?«
»Wie ist es möglich, dass ›eine Dreiviertel-
Mehrheit‹ der Bevölkerung dieses Landes sich für
die Abtreibung ausspricht, während zugleich ›die
Mehrheit‹ dagegen eingestellt ist?«, fragte Dan
Rather in den Abendnachrichten auf CBS seine
Zuschauer. »Nun, die Antwort ist einfach. Wir
haben es hier mit Meinungsforschung zu tun –
und die ist abhängig von den Personen, die sie
vornehmen, und von der Auslegung der gesam-
melten Daten. Meinungsumfragen werden häufig
nicht nach wissenschaftlichen Kriterien durchge-
führt, und so werden die Ergebnisse vom gesell-
schaftlichen Status der befragten Personen und
der Art der Fragen bestimmt. In diesem Fall wur-
den die Umfragen bei unterschiedlichen Bevölke-
rungsgruppen vorgenommen, und die Fragen
wurden entsprechend suggestiv formuliert, um
die gewünschten Antworten zu erzielen. Das be-
deutet also, dass man mit einer Meinungsumfra-
ge vorsätzlich genau das Ergebnis erzielen kann,
das man haben möchte.«
Seit der Anklageerhebung gegen Corey Latham
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hatte Dana häufig keine Zeit für eine Mittagspau-
se, weshalb ihre wöchentlichen Treffen mit Judith im »AI Boccolino« in letzter Zeit eher unregelmä-
ßig stattgefunden hatten. »Es macht nichts, ich
verstehe das«, sagte Judith an einem Mittwoch
Ende Juni, als Dana sich von ihrer Arbeit losgerissen hatte, um ihre Verabredung einzuhalten. »Ich
wünschte nur, ich hätte auch so viel zu tun.«
»Naja, das hat nicht nur Vorteile, kann ich dir
sagen«, erwiderte die Anwältin.
Seit sie in den Fall Latham eingestiegen war, hat-te Dana kaum Zeit gefunden, ihren Plan, für Ju-
dith eine Galerie einzurichten, voranzutreiben.
Erst vor einer Woche konnte sie mit Sam darüber
sprechen. Sie freute sich, dass er ihre Idee gut
fand und sie sogar mit ihrem Steuerberater erör-
tern wollte. Dana öffnete den Mund, um wenigs-
tens das Konzept mit ihrer Freundin zu diskutie-
ren, doch dann schloss sie ihn wieder. Sie wollte Judith keine Hoffnungen machen, solange sie ihr
noch nichts Konkretes berichten konnte. »Wie
geht’s dir?«, fragte sie stattdessen.
»Gut«, antwortete Judith und schob sich das
dunkle Haar aus dem Gesicht. »Ich habe ein paar
kleinere Aufträge und bin im Gespräch mit einer
Galerie in Bellevue wegen einer Ausstellung.«
»Das klingt toll«, sagte Dana.
»Na ja, ob es toll ist, weiß ich nicht«, entgegnete Judith. »Allzu solide ist das alles nicht, aber ein paar Monate werden wir wohl durchkommen.«
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Um keinen Preis hätte sie ihrer Freundin erzählt, dass ihre Mutter nicht mehr im Stande war, sie
finanziell zu unterstützen, dass sie nicht mehr
wusste, welche Kreditkarte sie noch benutzen
konnte, und dass sie und ihr Sohn Andy sich der-
zeit von Makkaroni mit Käse ernährten.
»Ich weiß, dass es nicht leicht ist, so von der
Hand in den Mund zu leben«, sagte Dana. »Aber
ich habe wirklich so ein Gefühl, als ob sich deine Lage bald verbessern würde.«
»Vor allem bald wäre wichtig«, sagte die Künstle-
rin. »Unterdessen mach dir mal keine Sorgen um
mich, ich komm schon durch. Wie läuft’s mit dem
großen Fall?« Die Anwältin zuckte die Achseln.
»Sagen wir mal, ich hab nicht allzu viel Schlaf
gekriegt in letzter Zeit.«
»Wirst du ihn raushauen können?«
»Die Chance besteht immer.«
»Willst du es?«
»Wenn er unschuldig ist, natürlich.«
»Ist er das?«, fragte Judith überrascht.
Dana runzelte die Stirn. Es war ihr unangenehm,
sich über einen Fall zu unterhalten, der nicht abgeschlossen war. »Wenn der Staat
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