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Meine beste Feindin

Titel: Meine beste Feindin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Crane Sonja Hagemann
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mich von Henrys Familiengeschichte los und richtete meine Aufmerksamkeit wieder ganz auf Helen, die neben mir auf dem kleinen Sofa hockte, und zwar unangenehm nah. Einer ihrer Flügel kratzte mich an der Schulter.
    »Was ist da letztens nur vorgefallen?«, fragte sie mich mit einem Gesichtsausdruck, der Mitleid auszudrücken schien. Mitleid angesichts all dieser schrecklichen Dinge. »Gus.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich will dich nicht erschrecken oder ärgern, aber du solltest wissen, dass ich ein wenig besorgt um dich bin. Sehr besorgt sogar, um ehrlich zu sein.«
    O mein Gott.
    Sie versuchte gar nicht, sich zu entschuldigen, was ich doch irgendwie angenommen hatte. Denn hätte sie nicht wenigstens so tun sollen, als täte es ihr leid? Das klang vielmehr nach einer liebevollen Ermahnung als nach einem tränenreichen Appell an meine Gefühle, die ich ihr am liebsten ins Gesicht schreien wollte.
    Es würde hier überhaupt keine Tränen geben, zumindest nicht auf Helens Seite. Nicht, wenn ich ihren Tonfall richtig deutete.
    Sie hielt mir eine Moralpredigt.

Kapitel 4
    Eine spontane Janis-Joplin-Karaoke-Moralpredigt.
    Mein Leben war eine traurige Farce.
    »Besorgt um mich?«, echote ich dämlich. »Wie bitte?«
    »Besorgt«, bestätigte Helen voller Entschlossenheit. Sie griff nach meiner Hand, und ihre blassen, manikürten Nägel trafen auf meine zerfransten. »Ich kenne dich, Gus. Es sieht dir doch gar nicht ähnlich, dich so in aller Öffentlichkeit lächerlich zu machen.«
    Ihr Tonfall war beschwichtigend gemeint, als seien wir gute, miteinander vertraute Freundinnen, die sich auch solch unangenehme Dinge sagen konnten, ohne sich dabei unwohl zu fühlen.
    »Wenn du mich so gut kennst«, würgte ich heraus, trotz der festen Überzeugung meines Hirns, dass diese Unterhaltung überhaupt nicht stattfand, »wieso hast du dann nicht vorausgesehen, dass es mich stört, wenn du mir den Freund ausspannst .«
    Zu meiner Überraschung und zu meinem großen Entsetzen kamen mir bei diesen Worten die Tränen. Ich sah weg. Ich hätte mir eher die Augen ausgekratzt, als vor ihr zu weinen.
    »O Gus«, seufzte Helen. »Ich glaube kaum, dass ›ausspannen‹ das richtige Wort ist, aber du kannst es natürlich so nennen, wenn es dir hilft.«
    In diesem Moment wäre ich am liebsten aufgesprungen. Ich wollte aufspringen und ihr ins Gesicht brüllen. Aber ich fürchtete, wenn ich mich erst aus der Erstarrung gelöst hätte, selbst wenn ich nur eine kleine Bewegung machte, um ihre Hand wegzuschieben, würde ich nicht mehr aufhören können zu schreien.
    Ich atmete ein und wieder aus. Ich zwang mich, ganz langsam bis zwanzig zu zählen. Und dann bis dreißig. Ach was, bis fünfzig …
    »Man kann jedenfalls nicht behaupten, ich hätte es nicht versucht«, verkündete Helen und stand auf. Endlich ließ sie mich los, und ich versteckte die besudelte Hand schützend in der anderen. »So etwas Verrücktes wie diesen Auftritt kann ich einfach nicht ignorieren. Dafür ist mir unsere Freundschaft zu wichtig. Nate und ich hatten Angst um dich, weißt du. Darüber solltest du wirklich nachdenken.«
    Ich hätte ihr nur zu gerne erzählt, dass Nate an jenem Abend nicht sehr begeistert von ihr gesprochen hatte. Ja, je mehr ich darüber nachdachte, desto eindeutiger schien Nate gesagt zu haben, dass ich zu gut für ihn war. Was gleichzeitig auch bedeutete, dass Helen für ihn gerade schlecht genug war. Ich hätte ihr das alles nur zu gern ins Gesicht gesagt, aber meine Augen waren immer noch feucht, und ich wollte nicht, dass sie auf falsche Gedanken kam.
    »Also gut«, sagte Helen, »wie du willst.« Sie zuckte - dank der Flügel - hörbar mit den Achseln und rauschte zur Tür hinaus.
    Ich blieb noch eine Weile sitzen und versuchte, nicht laut zu schreien.
    Ich musste zugeben, dass ich mich bisher überwiegend auf Nates Anteil an der Sache konzentriert hatte. Wie konnte mein Freund mich bloß verlassen, wieso hatte ich nicht bemerkt, dass er mich betrog usw. Das Übliche eben. Ich war verletzt und durcheinander. Aber in Wirklichkeit? In Wirklichkeit war Helen diejenige, die ich am liebsten umgebracht hätte.
    Es war unerheblich, dass sie mich schon vorher oft zur Weißglut getrieben hatte. Wir waren doch Freundinnen . Es war nicht dieselbe Art von Freundschaft, wie sie mich mit Amy Lee und Georgia verband, aber das störte mich nicht. Niemand schien zu verstehen, dass es trotzdem eine richtige Freundschaft war. Sie war anders als die anderen, aber

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