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Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Titel: Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vlada Urosevic
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Tütchen mit dem gelben Pulver ägyptischen Hennas und mit winzigen Sesamkörnern, Sammelbildchen aus Schweizer Schokoladetafeln, bunte japanische Lampions aus Reispapier, hölzerne Rosenkränze vom Berg Athos, Schächtelchen voller Streichhölzer mit gelben Köpfen, die sich an einer Mauer anreißen ließen, Fläschchen mit Rosenöl, Fläschchen mit einer Flüssigkeit zum Seifenblasenpusten, Wunderkerzen für Weihnachtsbäume, Scherzartikel wie Gläser, in denen sich die Flüssigkeit zwar den Lippen näherte, aber nicht auslief, Nagelknipser, Schachteln mit Futter für exotische Fische und Vögel, Seifen, die nicht untergingen, kleine Holzkästchen, die pfiffen, wenn man sie öffnete, Kastagnetten aus Spanien, Verjüngungselixier aus Chinarinde und Fläschchen mit dem wundersamen Massagetonikum »Alga«, der äußerst seltene weiße Pfeffer, ein ganzes Sortiment farbiger Flüssigkeiten zum Entfernen von Fettflecken aller Art, Bernsteinbrocken mit eingeschlossenen, längst ausgestorbenen Insekten, kleine Sanduhren, schwarze Spitzenfächer, Eier afrikanischer Vögel, Kamelpeitschen mit versteckter Klinge, Billardkugeln aus Elfenbein, Knallerbsen, Pappfiguren aus dem türkischen Schattentheater, aus Silber gefertigte menschliche Körperteile, die nach einer Genesung auf Ikonen angebracht wurden, Magneten in Hufeisenform, kleine Schildkrötenpanzer, aus Schmetterlingsflügeln gefertigte Bilder, große optische Linsen, Zähnevon Seeungeheuern, jede Menge Krempel, alles Mögliche und Unmögliche.
    Unter Glas lagen ungewöhnliche Briefmarken: Marken aus nicht mehr existierenden Staaten, die seltenen Marken von der Insel Mauritius mit dem Bildnis der Königin Victoria, Marken zur Erinnerung an missglückte Bündnisse, verhinderte Protektorate, eingebildete Eroberungen und kurzlebige Anschlüsse, an Interregnen und vorübergehend freie Städte; Marken aus winzigen südamerikanischen Staaten, ausgegeben von den Anführern letztlich gescheiterter Putschversuche, Marken mit Farbfehlern oder einem falschen Wert, berühmte Fälschungen, Marken, die in keinem Katalog der Welt aufgeführt waren. Und in einem Winkel ganz hinten im Laden stand eine umfassende Sammlung von Meeresmuscheln in allen Farben und Formen. Da waren die seltsamen Tiefwassermuscheln mit ihren schaurigen Auswüchsen und die großen Muscheln aus den warmen Gewässern; wie Leoparden gefleckte Muscheln, Muscheln geformt wie gigantische Fächer, Helme oder Kathedralen und Karavellen, Perlmuscheln und Felsbohrmuscheln. Sprachlos standen wir da und starrten auf diesen Schatz, über den sich das Licht der schwachen Glühbirne wie weicher Goldstaub legte.
    »Kauf mir etwas davon«, sagte meine Cousine Emilia und sah mich schmeichelnd an.
    »Sie wünschen?«, wandte sich der Verkäufer an uns. »Eine Stange Siegelwachs«, antwortete meine Cousine Emilia. »Nur eine Stange Siegelwachs?«, fragte der Verkäufer. Ich wollte noch etwas sagen, aber im selben Moment war von draußen ein Geräusch zu hören, von dort, wo das Geschäft noch einen Ausgang hatte, der wahrscheinlich auf irgendeine Seitenstraßeführte. Jemand kratzte an der Tür, brummelte undeutlich vor sich hin, keuchte. »Geh weg«, rief der Verkäufer nervös. »Ich habe dir doch gesagt, du sollst nicht mehr kommen!«
    Die Stimme war jetzt noch deutlicher zu vernehmen. Jemand stöhnte an der Tür, mühte sich ab, etwas zu sagen, quälte sich. Das waren Wortembryos, Wort-Totgeburten, schon verstümmelt, bevor sie aus dem Mund kamen. Jemand stotterte und brabbelte, rang mit der Lautbildung, heulte auf. »Verschwinde!«, schrie der Verkäufer. »Quäl mich nicht mehr.« Die Stimme von draußen wurde lauter: Das war kein flehentliches Bitten mehr, wie wir zuerst gedacht hatten; das waren Befehle, grobe Vorhaltungen, strenge Anordnungen. »Nein«, schrie der Verkäufer, »du weißt, dass ich dir nicht aufmachen darf.« Er wirkte verängstigt, verzweifelt, unglücklich. Dann sah er uns an und riss sich zusammen. »Da«, sagte er, »hier ist das Wachs. Und jetzt geht schon, ich habe zu tun.«
    Wir verließen den Laden. Draußen hatte die Nacht bereits ihre bleich-violetten Adern durch das weiche Fleisch des Nebels gezogen. Das zarte, weißliche Gewebe des Nebels war vom giftigen Schimmel der Nacht angefressen worden, es lief blau an, klumpte, verlor seinen Glanz. Als wir kaum zehn Schritte getan hatten, blieb ich stehen. »Wir haben gar nicht bezahlt«, sagte ich. Langsam gingen wir zurück. Unsere Vorahnungen hatten

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