Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims: Roman (German Edition)
wären so unkompliziert wie Katzen.
Das Haus fühlte sich anders als sonst an, als ich reinkam. Leer und dunkel. Regen prasselte an die Fenster, und die Heizkörper waren kalt. Dad war nicht in der Küche und fragte Wie war dein Tag , und es gab auch kein Essen. Er hatte zwar nicht oft gekocht, aber ich hatte mich schon daran gewöhnt, und die graue Stille war mir unheimlich. Ich wollte eigentlich Dad schreien, aber ich hatte Angst, dass niemand antworten würde. Deshalb fing ich an zu pfeifen und schaltete das Licht an. Ich fürchtete schon, dass auf dem Küchentisch vielleicht ein Zettel mit der Nachricht Ich halte das nicht mehr aus liegen würde. Da lag nichts, aber Dad war auch nirgendwo zu sehen.
Da fiel mir die Kellertür auf. Sie war offen. Nicht weit, nur einen Spalt. Dahinter war es dunkel. Ich legte den Lichtschalter um, aber nichts tat sich. Ich musste an den Candyman denken und holte mir für alle Fälle einen Kochlöffel aus der Besteckschublade. Dann sagte ich mir, dass der gegen einen Haken nicht viel ausrichten würde, und nahm mir stattdessen einen Korkenzieher. Ich ging die erste Stufe runter. Der Boden war scheußlich kalt. Dad , flüsterte ich. Keine Antwort. Ich trat auf die zweite Stufe. Unten sah ich jetzt den gelben Lichtstrahl einer Taschenlampe. Dad , sagte ich noch mal. Bist du da unten . Irgendwas atmete laut. Ich senkte den Fuß langsam auf die dritte Stufe, aber dann hielt ich es nicht mehr aus und lief den Rest der Treppe runter.
Jemand war eingebrochen. Das war die einzige Erklärung. Der Kellerboden war mit Sachen übersät. Fotos, Büchern, Kleidern, Spielzeug. Und Dads Beine ragten aus einer großen Kiste. Wie sind die reingekommen , fragte ich und blieb auf der letzten Stufe stehen, weil ich nirgendwo hintreten konnte. Ich hatte keine eingeschlagenen Fenster gesehen. Wer war das . Dann fiel mir auf, was auf dem Karton stand, in dem Dad kopfüber herumwühlte. HEILIG . Dad hatte irgendetwas in der Kiste zu fassen gekriegt und warf es hinter sich. Du warst es selbst , flüsterte ich.
Dad richtete sich auf. Er sah bleich aus im Licht der Taschenlampe, und seine schwarzen Haare standen wirr vom Kopf ab. Über seinem schmutzigen Hemd trug er einen Anhänger mit der Aufschrift Ich bin heute sieben . Dad sagte Ich hab es gefunden und wedelte mit einem Blatt Papier. Ist es nicht toll . Es war nicht mal ein richtiges Bild, nur fünf Kleckse auf einem zerknitterten Papier, aber ich sagte nichts und nickte. Sie sind so klein, James. Schau nur, wie klein sie sind .
Ich stieg über einen Schnallenschuh und ein kleines Blümchenkleid und eine alte Geburtstagskarte drüber und schaute mir das Blatt genauer an. Die Kleckse waren Handabdrücke. Zwei große, in denen Mum und Dad stand, zwei kleine mit der Aufschrift Jas und Rose und ein winzig kleiner mit meinem Namen. Sie waren im Kreis um ein Herz angeordnet, und im Herz stand Alles Liebe zum Vatertag . Das hatte wahrscheinlich Mum geschrieben, denn es war sehr ordentlich.
Ein hübsches Bild, aber es zu küssen, fand ich echt übertrieben. Dad küsste nämlich jetzt abwechselnd die Hand von Jas und von Rose. Was für schöne Namen , sagte er mit dieser Zitterstimme, die mich immer so nervte. Jasmine und Rose . Jetzt streichelte er die Abdrücke. So habe ich sie in Erinnerung . Das fand ich komisch, und ich sagte Aber Jas lebt doch . Dad hörte nichts. Sein Kopf war in seine Hände gesunken, und seine Schultern zuckten. Ich hätte fast einen Lachanfall gekriegt, weil Dad so ulkig hoch hickste, aber ich riss mich zusammen und dachte an traurige Sachen wie Krieg und diese Kinder in Afrika, die so dicke Bäuche haben, obwohl sie gar nichts essen.
Dad sagte irgendwas, aber vor Rotz und Tränen konnte ich nichts verstehen außer Immer und Meine kleinen Mädchen . Jas ist aber jetzt groß und hübsch und hat pinke Haare und ein Piercing, und Dad verpasst was, wenn er sich wünscht, dass sie wieder zehn sein soll.
Oma sagt Die Menschen wollen immer das haben, was sie nicht bekommen können , und ich glaube, sie hat recht. Dad möchte, dass Rose noch lebt und Jas wieder zehn ist. Ich habe zwar das richtige Alter, aber das falsche Geschlecht, Jas hat das richtige Geschlecht, aber das falsche Alter, und Rose hat das richtige Alter und das richtige Geschlecht, aber sie ist tot. Manche Menschen können nie zufrieden sein , ist ein anderer Spruch von Oma.
Jas kam erst um elf Uhr abends heim. Deshalb musste ich alles machen, was sie sonst übernimmt.
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