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Meine zwei Halbzeiten

Titel: Meine zwei Halbzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Berger
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ausgetobt, zudem hatte ich
     während unseres gemeinsamen Lebens gemerkt, dass wir wunderbar zusammenpassten. Und vor allem: Wir liebten uns.
    Nachdem ich mich jahrelang geziert hatte, sollte der Eheschluss also an mir nicht mehr scheitern – allerdings beinahe am westdeutschen
     Amtsschimmel. Denn nach meiner Flucht hatte die Stasi meine Geburts-, Heirats- und Scheidungsurkunde sowie alle weiteren Unterlagen
     einbehalten. Nun gab mir der Angestellte auf dem Standesamt deutlich zu verstehen: «Keine Papiere, keine Heirat.» Dass Menschen
     nicht immer eine gradlinige Biographie mit geordneten Dokumenten vorweisen können, war in seinem Weltbild nicht vorgesehen.
     Erst durch die Hilfe von Oberbürgermeister Hans Eichel, dem späteren Finanzminister, war es möglich, dass eine unkonventionelle
     Regelung gefunden werden konnte. Im Spätherbst 1984 heiratete ich «Frau Berger».
    Vor dem Hochzeitstrubel rief mich am 11.   Oktober 1984 völlig überraschend Bernd Stange von einem Hotel in Luxemburg aus an. Dort bereitete er als Fußball-Nationaltrainer
     der DDR |206| seine Mannschaft auf ein Weltmeisterschafts-Qualifikationsspiel vor. Mit ihm hatte ich in Jena zusammengearbeitet, wir waren
     Freunde gewesen. In meiner Stasiakte liest es sich so:
     
    «IM: ‹Weißt du, wer am Telefon ist?›
     
    B.: ‹Das kann nicht sein, mir zittern die Knie, warte einen Moment, ich mache die Tür zu!›»
     
    In seiner Funktion gehörte einiges an Mut dazu, sich bei mir zu melden. Eigentlich hätte mich diese Kontaktaufnahme nachdenklich
     stimmen können, doch mir kam dergleichen nicht in den Sinn. Wir sprachen allgemein über die Entwicklungen im Fußball, Stange
     wusste auch über meine einzelnen Trainerstationen im Westen genau Bescheid. Ich wiederum fragte ihn, was aus dem einen oder
     anderen DD R-Spieler geworden war. In Stanges Bericht an das MfS liest sich das so: «B. erklärte in dem Gespräch, dass er die Entwicklung des
     IM und der DD R-Mannschaft aufmerksam verfolge.»
    Harmloser Smalltalk, könnte man meinen. Doch dieses Telefonat schadete mir. In meinen Stasiakten wurde es so ausgelegt, dass
     ich mich weiterhin für den DD R-Fußball interessiere, mithin als Bedrohung einzustufen sei. Man müsse aufpassen, der Berger könnte Spieler des sozialistischen Staates
     bei West-Begegnungen kontaktieren und sie zur Republikflucht animieren. Mit diesem Gespräch avancierte ich in den Augen der
     Staatssicherheit zu einer Art Fluchthelfer. Ein schlimmeres Vergehen war kaum vorstellbar.
    Und was ich sogar erst durch das Buch
Trainer zwischen den Welten
von Heiko Mallwitz erfuhr: Die Staatssicherheit hatte die Absicht, mich mit Stanges Hilfe in die DDR zurückzuführen, besser
     gesagt, zu entführen. Als ich das las, fragte ich mich – und ich frage mich das auch noch heute   –, wie man das bewerkstelligen |207| wollte. Rhetorisch war Stange gut, aber so gut, dass er mich mit Worten dazu hätte bringen können, freiwillig nach drüben
     zurückzugehen – nein, das war nicht vorstellbar. Also blieben, in meiner Schlussfolgerung, nur Gewalt oder Drogen.
    Die Folge von Stanges Anruf aus Luxemburg war jedenfalls, dass ich verstärkt observiert wurde. Zu den Hintergründen dieses
     Vorgehens dürfte ein Fußballspiel am 3.   November 1983 zählen. Damals beschäftigte mich zunächst eine andere Begegnung, die am selben Tag in Bremen stattfand.
    Werder trat gegen meinen früheren Verein Lok Leipzig an, es war ein Rückspiel. Werders Coach Otto Rehhagel rief mich vorher
     an und wollte Informationen über einige Spieler, die ich noch im Osten trainiert hatte. Zum Schluss des Telefonats lud er
     mich ein, nach Bremen zu kommen, um mir das Spiel vor Ort anzuschauen.
    Ich spürte instinktiv, dass ich vorsichtig sein, mich bei solchen Begegnungen besser nicht zeigen sollte. Auf keinen Fall
     wollte ich es wie Lutz Eigendorf machen, und ebensowenig wollte ich erleben, dass während meiner Anwesenheit ein DD R-Fußballer flüchtete. Dies erklärte ich Rehhagel, nachdem ich seine Einladung ausgeschlagen hatte, er konnte das aber nicht verstehen.
    Nahezu zeitgleich sollte an diesem Mittwoch der BFC Dynamo in Belgrad spielen, und zwei Fußballer der Ost-Berliner Mannschaft
     nahmen die Reise als Gelegenheit wahr, um schon am Dienstag abzuhauen. Zunächst sickerte jedoch nichts von dieser Flucht in
     die Nachrichten durch. Erstaunlich für mich: Bedachte man auch die Flucht von Lutz Eigendorf, dann türmten immer nur Spieler
    

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