Meineid
zu rufen. Der Computer war ausgeschaltet, der Aschenbecher daneben quoll über. Links von der Tastatur lag das Treatment von Eckert mit dem Titel
«Gemischtes Doppel»
. Der Kopfhörer lag auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch – wie ein Beweis für Jans Worte. Mit diesem Ding auf den Ohren war es für ihn unmöglich zu hören gewesen, wenn der dezente Gong der Türklingel in der Diele angeschlagen hatte. Dass Tess eine Person ins Haus ließ, mit der sie kurz zuvor telefoniert hatte, durfte niemand ausschließen. Greta raffte einige Seiten mit Notizen zum Roman zusammen, legte sie auf Eckerts Treatment und kontrollierte die Diskettenbox. Jan fertigte immer sofort eine Sicherungskopie seiner Arbeit an. Und wenn er kurz nach vier das Haus mit ihr verlassen hatte, konnte er nicht an dem Treatment gearbeitet haben. Die vordere Diskette war mit
«Eckert»
beschriftet. Dass es sich nicht um die Sicherungskopie handelte, konnte Greta nicht ahnen. Jan hatte auf Veranlassung des Senders dem Treatment einen anderen Titel gegeben. Die mit diesem neuen Titel beschriftete Diskette stand an zweiter Stelle in der Box und wurde für mich später zu einem wichtigen Beweis. Im Computer war die entsprechende Datei mit dem ursprünglichen Titel bezeichnet. Greta suchte sie heraus, hatte Jan oft genug bei seiner Arbeit zugeschaut, um rasch fündig zu werden. Die Abspeicherdaten bestätigten seine Angaben, siebzehn Uhr siebenunddreißig. Sie löschte die Datei komplett, auch aus dem Verzeichnis Papierkorb. Nur nichts übersehen, kein noch so winziges Detail. Es waren immer die Kleinigkeiten, über die man stolperte.
.
« Als sie wieder nach unten kam, erklärte sie Jan die Stunden in ihrer Wohnung, alter Badeanzug, Pflegemaske, Pizzabote. Wer was gegessen hatte. Sie wollte Pizza und Salat sofort in den Müllschlucker werfen, wenn sie wieder in ihrer Wohnung war. Jan stand gegen den Türrahmen zur Küche gelehnt und hörte schweigend zu. Sie war dankbar, dass er sie nicht mit Zwischenfragen unterbrach und aus dem Konzept brachte. Dann war alles erledigt und abgesprochen. Sie wollte nur noch wissen, welchen Unsinn Tess am Telefon von sich gegeben hatte, ob der Hörer während des Streits auflag oder das Ohr am anderen Ende der Leitung hatte mithören können. Jan reagierte nicht auf ihre Frage, betrachtete den Fußboden. Doch dass er wirklich etwas davon sah, bezweifelte sie. Er wirkte wieder so apathisch wie in dem Moment, als er ihr die Haustür geöffnet hatte. Sie verstand es nicht. Er war doch völlig klar gewesen. Jetzt schien er sich nur mit Mühe aufrecht zu halten und mit seinen Gedanken weit weg. Und plötzlich fragte sie sich, ob er wirklich bis kurz nach halb sechs ununterbrochen an seinem Schreibtisch gesessen hatte. Die Speicherzeit der Datei im Computer bewies nichts. Er konnte im Bad, am Fenster, in der Küche, er konnte zwischendurch überall gewesen sein. Erst nach mehr als einer Minute bemerkte er, dass sie schwieg, löste die Augen von den hellen Bodenfliesen, betrachtete sein Hemd und fragte mit belegter Stimme:
«Soll ich mich umziehen?»
«Nein», sagte sie.
«Du hast Tess hochgerissen und an dich gedrückt. So ist das Blut auf dein Hemd gekommen. Da sie auf dem Bauch liegt, kann es noch nicht völlig getrocknet sein.»
Sie sah, dass er die Zähne zusammenbiss, aber er nickte.
«Warum liegt sie auf dem Bauch?, fragte Greta.
«Ihr Rücken ist unversehrt. Sie ist von vorne erstochen worden. Sie müsste auf dem Rücken liegen.»
Jan sprach so leise, dass sie ihn kaum verstand.
«Ich habe sie umgedreht. Ich konnte sie nicht so liegen sehen. Sie hatte die Augen offen und schaute mich an.»
Sie wollte wissen, wann er Tess umgedreht hatte. Er zuckte mit den Achseln, schürzte die Lippen wie ein verunsichertes und schuldbewusstes Kind. So sprach er auch.
«Weiß nicht.»
«Dann denk nach, verlangte sie.
«Es ist wichtig.»
Es war sogar sehr wichtig. Sie hatte genügend Ahnung von Gerichtsmedizin, um zu wissen, dass sich Totenflecken schon in der ersten halben Stunde bildeten. Wenn die Leiche später bewegt worden war, ließ sich das feststellen. Dass Tess’ Rücken keine Verfärbungen aufwies, konnte ihnen nicht zum Verhängnis werden. Das dicke Polster musste ihren gesamten Rücken abgedeckt haben, und an so genannten Aufliegestellen entstanden keine Flecken. Bei Rückenlage bildeten sie sich zuerst im Nacken. Sie verblassten zwar, wenn die Position der Leiche später verändert wurde, aber wenn
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