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Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Titel: Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Kloeble
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ihm stand.
    »Ist sie wach?«, fragte ich.
    Wickenhäuser packte mich, schlang seine dicken Arme um mich und drückte mich so heftig gegen seinen runden, festen Bauch, dass mir alle Luft aus der Brust wich.

Die zweite Liebe
     
    Weiß stach mir in die Augen. Ich wachte in einem hellen Zimmer auf. Bei dem Versuch, mich von zwei Decken zu befreien, die mir schwer auf der Brust lagen, stürzte ich aus dem Bett und krabbelte, da ich meine Beine kaum spürte, zu einem Fenster, zog mich an einem Vorhang hoch und sah nach draußen.
    Es war stockfinster. Ich drehte mich um und entdeckte ein Kerzenlicht, gefangen in einer Glaskugel. Ich hatte noch nie eine Glühbirne gesehen. Für mich war das Feuer, das ohne Luft lebte. Mithilfe eines Stuhls stützte ich mich ab und stakste zur Tür, verlor das Gleichgewicht, wollte mich an der Klinke festhalten, rutschte ab und sackte in mich zusammen. Es kostete mich viel Kraft, mich erneut auf den Stuhl zu ziehen. Keuchend legte ich eine Pause ein. Mit dem Rücken zum Zimmer blickte ich nun auf die Wand und einen hervorstehenden, goldenen Kippschalter. Ich beugte mich vor, legte ihn um und die Sonne ging unter. Vor Schreck schrie ich auf, tastete nach dem Schalter, presste meinen Daumen dagegen   – es wurde hell. Ich starrte auf das Kerzenlicht in der Glaskugel und legte den Schalter ein weiteres Mal um. Das Licht erlosch. Ich drückte. Das Licht flammte auf. Drücken   – an. Drücken   – aus.
    Von meiner Entdeckung abgelenkt, bemerkte ich nicht, wie die Tür aufgeschoben wurde. Der Anblick von Wickenhäusers krebsrotem, speckigem Gesicht überraschte mich, ich fiel vom Stuhl und aus allen Richtungen sprangen Schatten auf mich zu, verstopften meine Ohren, schlossen meine Augen. Bevor ich allerdings den Boden berührte, prallte ich mit der Schulter gegen den Schalter: Nacht. Dunkel. Aus.
     
    Als ich die Augen wieder öffnete, lag ich im Bett. Durch das Fenster fielen Sonnenstrahlen herein. Echte Sonnenstrahlen. Wickenhäuser saß auf einem Stuhl und musterte mich.
    »Du siehst aus wie meine Kundschaft«, sagte er.
    Ich deutete auf die Lampe über ihm. »Was ist das?«
    »Elektrisches Licht.«
    »Elektrisch   …«
    »Wie geht’s dir?«
    »Sind Sie reich?«
    »Man beantwortet eine Frage nicht mit einer Gegenfrage. Das ist unhöflich.«
    »Sie sind reich.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Der Wirt in Segendorf ist reich. Wenn man ihn fragt, ob er reich ist, weicht er auch immer aus.«
    »Schlaf lieber, Filou.«
    »Was ist ein Filou?«
    »Schlaf!«
     
    Dank seinem Geschäft mit dem Tod hatte Nathaniel Wickenhäuser als einer der wenigen vom Weltkrieg profitiert. Nicht nur Soldaten, auch viele der Hinterbliebenen, die mit ihren Herzen und Gedanken bei ihren Söhnen, Ehemännern, Vätern gelebt hatten, waren gestorben. Mit ihnen oder ohne sie. Selbst die Inflation hatte ihm nicht geschadet, auch in einer Wirtschaftskrise legte der Tod keine Pause ein, im Gegenteil, er machte Überstunden. Trotz der lukrativen Geschäfte besaß Wickenhäuser nur Hoss, sein Muli, und einen Karren, auf dem allein Platz für einen Sarg war. Von Automobilen hielt Wickenhäuser nichts. Die waren unzuverlässig. Särge bezog er vorzugsweise aus der Provinz, da waren sie am preiswertesten,
besonders die Exemplare aus Segendorf schätzte er wegen der Holzqualität; dafür (und für das gemachte Bett der Bäckermeisterin Reindl) nahm er zeitraubende Reisen in Kauf. Hinter vorgehaltener Hand nannte man ihn den Jud von Schweretsried. Wickenhäuser wusste das; betrat er ein Lokal, spürte er instinktiv, welcher der Anwesenden das von ihm dachte, aber ihm gefiel seine Rolle, Wickenhäuser mochte die Juden. Und ihre Anzüge. Insgeheim träumte er davon, eines Tages nach Paris zu reisen und sich dort in einem Laden an den Champs Elysées einen eleganten Frack schneidern zu lassen. Obwohl er sich einen verkaufstechnisch günstigeren Standort ohne Weiteres hätte leisten können, befand sich sein Laden ganz am Ende der Marktstraße. Er schätzte die Symbolik. Seine Wohnung, in der er mich zwei Wochen lang aufpäppelte, lag direkt über dem Geschäft. Dreimal täglich klopfte er an die Tür des Gästezimmers, dreimal täglich bat ich ihn herein   – er brachte mir Haferschleim, Grießbrei oder einen dampfenden Teller Suppe   – und dreimal täglich erwartete ich, dass Wickenhäuser mich auffordern würde, das Haus zu verlassen. Mit Ausnahme der Linsensuppe, bei der ich mich strikt weigerte, auch nur zu

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