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Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Titel: Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Kloeble
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fühlte, aufgehoben in dieser buchstabenlosen Stille, dass ich zum ersten Mal einschlief, ohne Anni zu vermissen.
     
    Meine erste Liebe war gleichzeitig meine kürzeste. Am Morgen darauf, einem lichtschwachen Herbstmorgen, lag sie starr und kalt neben mir. Ich bemerkte es im selben Moment, in dem ich aufwachte, kniff aber die Augen zusammen und schmiegte mich an sie. Bis zum Nachmittag rührte ich mich nicht. Ihr Haarschopf schimmerte silbern, ihre bleiche Haut, auf der Altersflecken und Muttermale mit sommersprossiger Großzügigkeit verteilt waren, erinnerte an Porzellan, sie roch herb, ranzig, verwaschen süßlich. Ihre Augen waren offen und glänzten in jeder Schattierung von haselnussbraun bis moosgrün. Ich schloss sie, ging mit meiner Hand über ihr Gesicht, streifte Furchen und Krähenfüße und annihafte Grübchen, konnte nicht wegsehen und mich nicht dazu durchringen, ihr einen Abschiedskuss auf die Wange zu geben.
    Das Gefühl, etwas tun zu müssen, trieb mich schließlich aus dem Bett. Mir war alles recht, was mich ablenken würde. Ich beschloss zu kochen. Ich ging Feuerholz holen. Ich hackte fünf Scheit. Und weitere zehn für später. Ich zündete ein Büschel trockenes Gras an und stopfte es zwischen das Feuerholz. Ich ging Wasser holen. Fünf Minuten entfernt schlängelte sich ein Bach durch den Wald. An diesem Tag brauchte ich nur drei Minuten. Bei meiner Rückkehr brannte das Feuer bereits. Ich setzte den Kessel auf, goss das Wasser hinein, warf eine Handvoll Linsen ins Wasser. Und noch eine. Und noch eine. Wartete, dass es blubberte. Leise sagte ich »Else« zu mir und erschrak darüber, wie unmöglich das klang   – ich warf noch mehr Linsen ins Wasser. Und dann blubberte es endlich und ich schöpfte Linsen aus dem Topf, mit der Hand, verbrannte mich und schrie und kostete trotzdem und sie waren zäh und körnig und schmeckten nach nichts.
    Ich vergaß den Kessel, das Feuer, die Linsen, schlüpfte wieder
neben Else und drückte mein Gesicht ins Kopfkissen. Weinen würde ich nicht, ich hatte wegen meiner Eltern geweint, ich würde nicht auch noch wegen Else weinen. Solange ich nicht weinte, konnte es nicht so schlimm sein. Nur wussten das meine Augen nicht. Immer tiefer drückte ich mein Gesicht ins Daunenkissen, so war es bloß ein feuchtes Stück Stoff. Wasser auf dem Kopfkissen, nichts weiter. Und Else ruhte nur, ja: Sie machte bloß ein Nickerchen. Ich pflückte jedes Gänseblümchen, das ich finden konnte, und steckte eins nach dem anderen in Elses Haar, bis es aussah, als würden sie aus ihrem Kopf wachsen.
    Gegen Abend fiel mir auf, dass sich Elses Duft verändert hatte. Der Fettgeruch war dominanter geworden.
    »U-E«, sagte ich zu ihr, »kannst du das sagen? Nur einmal. Sag nur einmal U-E.«
    Ich hielt mein Ohr an ihren Mund und lauschte.
    »Sag schon. U-E.«
    Ich ging noch näher heran.
    »U?«
    Ganz nah.
    »E?«
     
    Am nächsten Morgen steckte ich mir zwei Fetzen Stoff, die ich von einem Lumpen riss, in die Nasenlöcher und stellte Else ihren Frühstücksteller Linsen ans Bett, gegen Nachmittag brachte ich ihr eine zweite Portion, abends die letzte und nachts kippte ich die erkalteten Linsen in die Latrine. Ich begann damit, die Hütte zu fegen, putzte das Fenster, beseitigte Spinnweben, schrubbte Töpfe und Schüsseln, polierte das Besteck und lüftete den Kleiderschrank. Mein neues Zuhause sollte aufgeräumt und sauber sein. Seitdem Else in tiefen
Schlummer gefallen war, übernachtete ich wieder im Sessel, aß kaum mehr etwas und freute mich auf ihr Erwachen. Geduld, alles nur eine Frage der Geduld, bis sie mich zu sich bitten, mich zu sich holen würde. Bald.
    Wie viel Zeit verstrich, bis sich Schritte näherten und die Tür geöffnet wurde? Die Blätter der Linden und Buchen hatten sich inzwischen feuerrot gefärbt. Durch Astlöcher und Spalten im Holz zwängte sich die Kälte ins Innere der Hütte. Ich bibberte trotz eines mottenzerfressenen Schaffells, in das ich mich gewickelt hatte, da ich fand, dass eine alte Frau wie Else die Daunendecke dringender benötigte.
    Wickenhäuser beachtete mich nicht, als er die Hütte betrat, und riss die Schlafzimmertür auf und erstarrte. Ich taumelte auf ihn zu. Soweit ich das erkennen konnte, atmete Wickenhäuser nicht, blinzelte nicht einmal. Für ein paar Sekunden glich er einem Totengräber. Dann blühte sein Gesicht erneut krebsrot auf und die Schweinsäugelein fixierten mich, einen blassen, ausgemergelten Jungen, der schwankend neben

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