Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)
anderen hielt sie sich an Markus’ Hemd fest. »Du riechst gut«, sagte er und schob eine Hand unter ihren Rock. Kribbeln drang durch ihre Haut und wanderte in ihren Bauch. »Lass das«, sagte sie. Markus zog sie auf den Boden. Das Gras war feucht, es stach und streichelte sie, als wäre es lebendig. Über ihre Stirn rannen Regentropfen, sie schlug die Augen auf – wann hatte sie die geschlossen? –, sah ihre Hand auf Markus’ Gesicht, ihre Finger in seinem Mund, spürte die weiche, warme Feuchtigkeit seiner Zunge und seiner Lippen, wie seine Fingernägel ihr Bein strichen. Am Himmel blitzte es, und sie riss sich los, schlug mit ihrem Kamm nach seinen vielen Händen und Worten, rannte davon, rutschte aus, überschlug sich, kam ins Rollen, den Hügel hinunter, fing sich wieder, lief stolpernd weiter und erreichte unser Zuhause, warf sich auf einen Haufen Ruß in einer trockenen Nische und wollte darin verschwinden.
Sie schwor sich, nie mehr ein Stück Seife anzurühren und Wasser von nun an zu meiden, ob Regen, Moorbach oder
das wöchentliche heiße Bad, sie wollte mehr werden als bloß schmutzig, denn das war jeder in Segendorf; um genau zu sein, galt schmutzig in Segendorf als relativ sauber, Anni wollte dreckiger aussehen als der Metzger Scherfeil nach einer Schlachtung und säuerlicher stinken als der Hufschmied Schwaiger aus dem Mund. Dann würde sie niemand mehr anstieren. Oder mit Leckereien füttern. Oder freiwillig an ihren Haaren riechen und unter ihren Rock fassen.
Nach vier Tagen ohne Waschen drang der Geruch ihres Schoßes durch ihre Kleidung. Am Tag darauf legte ihr ein Jemand frische Unterwäsche aufs Bett. Noch zwei Tage, und sie biss einem Jemand ein winziges, nach Hühnchen schmeckendes Stück Haut aus dem Oberarm, als er sie zum Baden zwingen wollte. Drei weitere Tage Hausarrest, und sie roch sich auch dann noch, wenn sie sich über das Erdloch in der Latrine beugte. Früh am Morgen des elften Tages durfte Anni das Haus verlassen, um Wasser vom Moorbach zu holen. Beim Füllen des Eimers achtete sie darauf, ihre Hände nicht zu benässen. Auf dem Rückweg kam ihr Markus entgegen, er hatte einen Vorschlaghammer geschultert. Als er sie sah, blieb er stehen, direkt vor dem Schatten, den sie auf die Wiese warf (und die Sonne stand noch tief). Anni lächelte zufrieden und machte einen Schritt auf ihn zu. Würde er ausweichen? Ihr Schattenkopf schluckte seine Füße, Markus rührte sich nicht, doch Anni konnte beobachten, wie sich seine Brust hob und senkte. Er wandte sich um, wie im Begriff zu gehen. Annis Lächeln wuchs zu einem Grinsen, da ließ Markus den Vorschlaghammer fallen, sprang auf sie zu und warf sie zu Boden. Sein heißes Gesicht drückte gegen ihres. »Wasmachstduwasistdaswashastdugemacht?« Markus’ Hände tauchten
in ihr Haar, seine Nase grub sich in ihre Achsel. Sie schlug um sich, suchte mit beiden Händen nach etwas, das sie packen, dem sie wehtun konnte, rupfte Gras aus, griff zu, wieder Gras, dann etwas Ähnliches, dünner, fester, dichter, an dem sie zog, mit aller Kraft, denn sie wusste, davon hing ihr Leben ab, und zöge sie nur fest genug, könne sie, mit nur einem einzigen Ruck, alles, was schiefgelaufen war, alles Schlimme, Falsche, alles Böse, wiedergutmachen.
Markus fiel zur Seite, fasste sich an den Kopf. Sein Weinen klang wie stimmloser Husten. In ihrer rechten Hand hielt Anni ein Büschel seiner Haare. Sie ließ es fallen und wischte sich die Hand am Rock ab. In das Heulen mischten sich unverständliche Worte, und Grunzen. Anni stand auf, klopfte sich das Gras vom nicht mehr ganz so veilchenblauen Kleid. Markus wälzte sich hin und her, es gelang ihr nicht wegzusehen, da war keine Spur von dem Markus, der ihr Angst gemacht hatte. Im Bauch ihres langen Schattens krümmte sich nur ein Bub, dem ein endloser Strom aus Tränen über die Wangen lief. »Das hast du verdient!« und »Fass mich nie wieder an!« und »Bereue es!« – nicht ein Wort kam über ihre Lippen.
Anni postierte sich vor Markus, stupste ihn mit dem Fuß an, um sicherzugehen, dass er sie ansah, und schüttelte den Kopf, nahm ihren Eimer und jagte, die Sonne im Rücken, ihrem Schatten nach.
Von dem Tag an wusch sich Anni dreimal täglich, mit Wasser und Seife und gründlich; auch dort, wo sich Mädchen, wie ihr ein Jemand eingebläut hatte, nicht berührten. Sobald die gekräuselten Härchen an ihrem Körper, die wie wild wucherten und in denen sich ein besonders intensiver, aber
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