Meister Li und der Stein des Himmels
Schafts auf
einen Finger. Er war vollkommen im Gleichgewicht.
»Was sollen wir tun? Was
meinst du ?« fragte sie ruhig. Wolf sah sich um. Der
Kamin, der zur Oberfläche hinaufführte, befand sich an einer Wand. Er ging
hinüber und fand Griffe für Füße und Hände. Er sprang hoch, hielt sich fest und
begann zu klettern. Es war ein langer Weg nach oben, aber die Griffe waren gut.
Schließlich steckte er den Kopf aus dem Loch. Er sah, daß er sich am Grund
einer tiefen Schlucht befand. Direkt gegenüber entdeckte er ein gutes
Orientierungszeichen: eigenartige rote und smaragdfarbige Steine in der
Steilwand. Er machte sich wieder an den Abstieg. »Da kannst du auch
hinaufklettern«, sagte er keuchend, »wenn es sein muß, können wir schnell hier
raus. Feuermädchen, ich glaube, mein Vater und deine Mutter wollten, daß wir
versuchen, den Lachenden Prinzen zu töten, wenn es ihnen nicht gelingen würde.
Aber ich weiß nichts über ihn. Warum sollte man ihn töten ?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich weiß nicht, aber ich glaube, wir finden es besser heraus«, sagte sie.
Sie hielten sich bei der
Hand und suchten den Rückweg durch das Labyrinth, um zu sehen, was sie sehen
konnten.
(Das Folgende fasse ich
zusammen, denn Meister Li hielt die Einzelheiten nicht für wichtig. Feuermädchen
und Wolf entdecken die schrecklichen Zerstörungen im Tal der Seufzer und die
grauenhafte Folterkammer in der Grotte. Sie finden außerdem heraus, daß die
Folterinstrumente von Ku dem Kunstschmied gefertigt werden und daß Buschbart
der Barbar dem Lachenden Prinzen die Mädchen verkauft, mit denen er sich erst
vergnügt, ehe er sie in die Grotte schickt. Wolf und Feuermädchen werden von
Soldaten verfolgt, und eine Grille zeigt ihnen, wie man Essen stiehlt. Die
Statue mit dem Wolfskopf kann ein paar Worte sprechen und warnt sie vor einer
giftigen Dampffontäne. Sie versucht auch, die beiden vor Fledermäusen zu
warnen, aber das Wort »Fledermäuse« hat zahllose andere Bedeutungen, wenn es
nicht mit der richtigen Betonung ausgesprochen wird. Die Statue kann die steinernen
Lippen nicht bewegen, und deshalb verstehen sie die Warnung nicht. Sie werden
nacheinander gefangen und vom anderen wieder gerettet. Sie entdecken den
Thronsaal, den der Lachende Prinz in der Höhle hat bauen lassen .
Sie bauen Fallen, indem sie spitze Pfähle in Gruben aufstellen und Matten
darüberlegen, die Steine vortäuschen, und sie untergraben riesige Felsbrocken
an den Abhängen. Sie sind sich darüber einig, daß der Lachende Prinz getötet
werden muß, und die einzige Möglichkeit dazu bietet sich, wenn er in der Höhle
hofhält. Sie kriechen durch einen Gang bis zu einer Stelle über dem Thronsaal
und sehen, daß Ku der Kunstschmied und Buschbart der Barbar zu den Höflingen gehören . Der Lachende Prinz erscheint und nimmt auf dem
Thron Platz.)
*
»Wirst du ihn von hier aus
treffen ?« fragte Wolf flüsternd. Feuermädchen
schüttelte den Kopf und gab Wolf Pfeil und Bogen. Der Lachende Prinz trug zwar
eine Kutte wie die Munteren Mönche, die rechts und links von seinem Thron
standen, aber sie war kein Narrengewand. Sein Gesicht verschwand hinter dem
Gesichtstuch. Aber böse funkelnde Augen durchbohrten die Schatten wie kalte
blaue Flammen. Er griff nach hinten und fütterte die sieben schwarzen
Fledermäuse, die auf der Rückenlehne des Thronsessels hockten, mit etwas, das
möglicherweise Menschenleber war. Sein Lachen klang wie splitterndes Eis.
Wolf legte den Pfeil auf
die Sehne und zog sie langsam zurück. Seine Muskeln spannten sich, um den
gefiederten Schaft ruhig am rechten Ohr zu halten. Vorsichtig hob er den Bogen
in die für einen langen Schuß günstigste Stellung. Die scharfe Steinspitze
glänzte im Fackellicht. Die sieben Fledermäuse flatterten auf, und hohe
schrille Schreie hallten durch die Höhle.
»Meister, o Meister, ein
Pfeil Euch droht!
Die funkelnde Spitze des
Steins bringt Euch den Tod !«
Die glitzernden Augen des
Lachenden Prinzen schweiften durch die Höhle. Eissplitter schienen plötzlich
durch den Gang zu fliegen. Wolf versuchte, den Pfeil abzuschießen, aber seine
Finger waren erstarrt. Sein Arm war erstarrt. Er spürte, wie das Eis seinen
Körper erfaßte und sich seinem Herzen näherte.
Feuermädchen griff nach
Pfeil und Bogen und spannte die Sehne mit all ihrer Kraft. Die eisigen Augen
wanderten weiter, und auch sie erstarrte. Sieben schwarze Fledermäuse flatterten
durch die Luft.
»Meister, o Meister,
einen
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