Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
ihren Betten (einschließlich der dicken Vibeke, die Tag und Nacht zu merkwürdigen Zeiten im Haus herumwandert, als suche sie wie ein Schwein nach Trüffeln).
Das Licht meiner Kerze tauchte das Papier in ein sanftes, honigfarbenes Licht und verlieh den Wörtern eine schwarze Intensität, so daß es mir schien, als wären diese, wenn ich sie mit der Zunge ablecken würde, wunderbar süß.
Denn dieser Brief enthielt einen Liebeserguß, wie ich ihn früher einmal, vor langer Zeit, gelesen hatte, als ich siebzehn war und der König mir mit allen Mitteln den Hof machte und mir Tag und Nacht Briefchen schickte, die mich wegen ihrer starken Sehnsucht erst zum Lachen, dann zum Weinen und dann zum Erwidern der Sehnsucht brachten. Denn solche Gefühle haben in einer bitter-kalten Welt ganz gewiß Seltenheit, so wie eine bestimmte Spezies Vögel, die sich nur in Bananenbäumen oder in der eisigen Luft über den Wolken versteckt und selten zu sehen ist. Und so lauschen wir und hören ihr Lied, und erst danach – wenn alles, was sie gesungen haben, verschwunden und verloren ist – wünschen wir, wir hätten es nicht getan, weil wir es nun so sehr vermissen.
Der Lautenist erklärt, daß er seit Emilias Weggang vom Hof nicht mehr schläft, und sagt:
Nachts begebe ich mich in einen Traum von Dir, der kein richtiger Traum ist, sondern mehr ein Wachtraum von allem, wonach ich mich sehne und was ich mir in meinem Herzen und mit meinem Verstand vorstellen kann. Und in dieser Träumerei, meine bezaubernde Emilia, bist Du meine Frau, und ich bin Dein Mann, und wir gehen einer gemeinsamen Zukunft entgegen, und alles, was wir nehmen, und alles, was wir geben, macht uns in den Augen des anderen noch holder, so daß uns die Welt, die immer voller Grausamkeit und Kampf, voller Eitelkeit und Verfall ist, auch herrliche und schöne Wunder zeigt …
Nur sehr Hartherzige (zu denen ich mich früher vielleicht auch zählen mußte) würden in diesen Gefühlen nicht eine gewisse Grazie entdecken. Und wenn ich diesen dann die Erinnerung an das hübsche Gesicht und prächtig blonde Haar, in dessen Besitz der Schreiber zufällig ist, hinzufüge, dann verstehe ich schon, daß Emilia ein sehr großes Glück winkt und daß es eine abscheuliche Tat ist, ihr dieses vorzuenthalten.
Doch hier tritt nun mein Dilemma auf. Denn habe ich nicht eine Waffe auf das Herz des Lautenisten gerichtet? Ich bin mir sicher, daß niemand außer ihm und mir etwas von diesem Brief weiß, und er wünscht natürlich, daß dieser Emilia erreicht, für die er ja bestimmt ist, und nicht in meinem Kleiderschrank verborgen bleibt. Also schließe ich: Würde er nicht alles tun, worum ich ihn bitte, damit dieser Brief (und weitere, die er vielleicht noch schickt) sein Ziel erreicht? Und ist er nicht, weil ihn der König so sehr bewundert und ihm vertraut, genau der richtige Mann für die Verwirklichung meiner Pläne im Hinblick auf Otto?
Alles, was ich tun muß, taucht mit perfekter Einfachheit vor meinen Augen auf. Ich muß Peter Claire einen Brief schreiben. In diesem teile ich ihm mit, daß ich seine Liebe zu Emilia nicht billigen kann und auch nicht bereit bin, zuzulassen, daß sie eine Nachricht von ihm erreicht. Ich werde sagen, daß sie meine Frau ist und mir so lange dienen muß, wie ich es von ihr verlange, und niemals heiraten darf – denn das ist ihr Los – und daß er sie vergessen muß.
Wenn er sich schon überlegt, wie er mich bewegen kann, meine strenge Entscheidung zurückzunehmen, komme ich zum eigentlichen Anlaß meines Briefes. Ich frage ihn, ob er mir heimlich gewisse Papiere aus dem privaten Sekretär des Königs beschaffen und schicken kann, die dessen Berechnungen im Zusammenhang mit den Finanzen des Landes enthalten und in ihrer Verzweiflung allen einen traurigen Staat enthüllen. Und dann verspreche ich, daß ich seinen Brief nach Eingang dieser Papiere, wenn ich diese als zufriedenstellend und völlig richtig befunden habe, Emilia geben werde.
Das ist wahrhaftig ein ausgezeichneter Plan. Denn wenn ich diese Papiere erst einmal in Händen halte, rückt der Tag, an dem mir mein rheinischer Graf wiedergegeben oder mir erlaubt wird, nach Schweden zu gehen, um dort mit ihm zu leben, bestimmt näher. Denn was würde König Gustav für derartiges Wissen zahlen? Ich irre mich bestimmt nicht, wenn ich antworte, daß er meine sichere Überfahrt nach Schweden für einen niedrigen Preis halten würde. Und so wird meine Zukunft wieder strahlen. Wenn ich am
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