Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
eigenen Herzen abbauen. Mit der Zeit löst sich der Wirrwarr dann auf, und auf beiden Seiten kehrt Ruhe ein.«
Der König sieht Peter Claire konzentriert an. Man könnte meinen, er wolle sich im trüben Licht des niedrigen Raums vergewissern, daß der Lautenist noch immer blaue Augen hat. Nach einer Weile sagt er dann: »Ich glaube, ich bin jetzt ruhig. Ich glaube, ich bin jetzt mit mir selbst im reinen.« Und langsam und sorgfältig flicht er seinen Zopf neu.
BRIEF JOHANN TILSENS AN SEINE TOCHTER EMILIA
Meine liebe Emilia,
heute haben wir die Glocken erhalten, die Du Marcus für den Zaum seines Ponys als Geschenk geschickt hast.
Obwohl Du Deinem Bruder zweifellos etwas Gutes tun wolltest, muß ich Dir mitteilen, daß wir ihm, wie die Dinge im Augenblick stehen, nichts von dieser Gabe sagen können und dieser hübsche Anhänger vor ihm verborgen bleiben muß. Vielleicht bekommt er ihn zu seinem Geburtstag, doch dann werde ich ihm vorsichtshalber sagen, daß die Glocken ein Geschenk von mir oder Magdalena sind.
Du bist vielleicht etwas erstaunt darüber und findest, daß dies den Ruch der Täuschung in sich trägt. So laß Dir erklären, daß Marcus diesem Haushalt weiterhin viel Mißvergnügen bereitet und uns der Geduldsfaden mit ihm allmählich reißt.
Wenn es Marcus auch unzählige Male erklärt worden ist, daß Du in Kopenhagen bist und nicht nach Jütland zurückkehrst, streunt er weiterhin hartnäckig über die Felder und durch die Wälder unseres Anwesens, angeblich auf der Suche nach Dir. Aber nicht bloß das, er scheint von seiner fruchtlosen Suche so abgelenkt zu sein, daß er dem Leben in diesem Haus betrüblich wenig Aufmerksamkeit schenkt und sich nahezu völlig weigert, sich mit mir, Magdalena und seinen Brüdern zu unterhalten. Er ißt sehr schlecht und hat die besorgniserregende Angewohnheit entwickelt, sein Essen fast sogleich wieder zu erbrechen. Es haben uns schon zwei Dienstmädchen verlassen, weil sie die ekelerregende Aufgabe, unaufhörlich sein Erbrochenes zu beseitigen, nicht länger ertragen konnten.
Daraus ersiehst Du, daß ich klug daran tat, Marcus kein Zeichen von Dir zu geben. Ich habe ihm erzählt, daß Du Dein Leben weit weg von unserem Herd verbringst, in einer anderen Welt, wie ich es nannte.
Ich habe ihm auch gesagt, daß er mich kennenlernen wird, wenn er nicht endlich ordentlich am Familienleben teilnimmt. Wir müssen ihn nachts schon vorsichtshalber mit einem Geschirr ans Kinderbett binden, damit er nicht im Dunkeln herumstreunt und in einem See ertrinkt oder im Wald von einem Wolf zugerichtet wird. Das alles finde ich alles andere als vergnüglich. Ich bin ein Mann, der von seinem jüngsten Sohn fast in den Wahnsinn getrieben wird und versuchen muß, eine vernünftige Lösung zu finden.
Bitte schicke Marcus deshalb nicht noch einmal Geschenke oder gar Briefe oder Zeichen irgendwelcher Art. Ich glaube, daß er seine Suche nach Dir erst aufgeben wird, wenn er davon überzeugt ist, daß Du zu weit weg bist und er Dich daher nicht finden kann.
Ansonsten läuft in Deinem früheren Zuhause in jeder Hinsicht alles gut. Deine großen Brüder Ingmar und Wilhelm werden von Tag zu Tag nettere und hübschere junge Männer, und ich bin sehr stolz auf sie.
Deine liebe Stiefmutter Magdalena ist wieder guter Hoffnung. Ich bete darum, daß dieses Kind gesund zur Welt kommt. Ich bitte Gott um ein Mädchen, damit ich, wenn ich alt bin, diese süße junge Tochter habe, die Deine Stelle einnehmen soll.
Von Deinem Dich liebenden Vater
Johann Tilsen
KIRSTEN: AUS IHREN PRIVATEN PAPIEREN
O Herr, Männer ärgern mich schon furchtbar, so daß ich mir wutentbrannt die Haare über sie raufen muß.
Denkt auch nur einer – abgesehen von meinem einmaligen Grafen – an irgend etwas anderes als an seine eigenen selbstsüchtigen Bedürfnisse und Wünsche? Besitzt auch nur einer von ihnen eine winzige Unze reiner und liebevoller Freundlichkeit?
Ich erkläre hiermit, daß ich, wenn ich eine richtige Königin wäre, ein Schloß in strategisch günstiger Lage besetzen und von diesem sicheren Ort aus mit Kanonen auf jeden einzelnen Mann schießen würde, der mir zu nahe käme. Und das ist kein Witz! Ich erkläre hiermit, daß ich alle verachte.
Meine süße Emilia hat mir heute einen Brief von ihrem Vater gezeigt, der das gemeinste Dokument ist, das mir je unter die Augen gekommen ist. Diesem verräterischen und feigen Vater, der so töricht in seine neue Frau verliebt, ja von ihr verhext ist, ist
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