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Memento - Die Überlebenden (German Edition)

Memento - Die Überlebenden (German Edition)

Titel: Memento - Die Überlebenden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianna Baggott
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Augen – und das überraschte ihn. Das war nicht der Grund, warum er mit ihr auf den Ball wollte.
    Verstohlen zieht er den Schlüsselbund aus ihrer Handtasche und lässt ihn in seine Jackentasche gleiten, dann stößt er seinen Stuhl ärgerlich nach hinten, als wäre dies Teil der Auseinandersetzung. Er tut so, als wolle er zu den Toiletten, geht rasch durch die Halle davon.
    »Partridge!« Das ist Glassings. Er trägt eine Fliege.
    »Sie haben sich schick gemacht«, sagt Partridge in dem Versuch, sich so normal wie möglich zu verhalten. Er mag Glassings.
    »Ich habe ein Date mitgebracht«, sagt Glassings.
    »Tatsächlich?«
    »Ist das so schwer zu glauben?«, fragt Glassings halb amüsiert.
    »Mit dieser Fliege ist alles möglich, schätze ich.« Glassings ist der einzige Lehrer, mit dem Partridge so rumblödeln kann – vielleicht der einzige Erwachsene überhaupt. Mit seinem Vater kann er sich ganz bestimmt nicht so unterhalten. Was, wenn Glassings sein Vater wäre? Der Gedanke zuckt Partridge durch den Kopf. Ihm würde er die Wahrheit sagen. Eigentlich würde Partridge auch jetzt am liebsten alles erzählen. Morgen um diese Zeit wird er schon weg sein. »Tanzen Sie heute Abend?«, fragt er, außerstande, Glassings in die Augen zu sehen.
    »Selbstverständlich«, antwortet Glassings. »Bist du okay?«
    »Ja, klar«, sagt Partridge. Er weiß nicht, was er gemacht hat, um Glassings’ Misstrauen zu wecken. »Ich bin nervös, das ist alles. Ich kann überhaupt nicht tanzen.«
    »Dabei kann ich dir leider nicht helfen. Ich bin mit zwei linken Füßen geschlagen«, antwortet Glassings, dann stockt das Gespräch sekundenlang. Schließlich beugt sich Glassings vor und tut so, als würde er Partridges Krawatte richten. »Ich weiß, was los ist. Keine Sorge, es ist okay«, flüstert er.
    »Sie wissen, was los ist?«, fragt Partridge, bemüht, unschuldig zu klingen.
    Glassings sieht ihm in die Augen. »Komm schon, Partridge. Ich bin nicht von gestern.«
    Partridge spürt, wie ihm der Schweiß ausbricht. War sein Verhalten so offensichtlich? Wer weiß sonst von seinem Plan?
    »Du hast die Sachen aus der Metallbox deiner Mutter mitgehen lassen, im Archiv.« Glassings’ Gesichtsausdruck wird weich. Er lächelt freundlich. »Es ist nur natürlich. Du möchtest etwas von ihr zurückhaben. Ich habe auch was aus einer der Boxen mitgenommen.«
    Partridge starrt auf seine Schuhspitzen. Die Sachen seiner Mutter. Darum also geht es. Er verlagert sein Gewicht, tritt von einem Fuß auf den anderen. »Es … es tut mir leid. Ich wollte das gar nicht. Es war ein … ein Impuls.«
    »Hör zu, ich erzähle es niemandem, okay?«, erwidert Glassings leise. »Wenn du darüber reden möchtest, komm zu mir.«
    Partridge nickt wortlos.
    »Du bist nicht allein«, flüstert Glassings.
    »Danke«, sagt Partridge.
    Dann beugt sich Glassings erneut vor. »Es könnte nicht schaden, wenn du dich ein wenig mit Arvin Weed anfreundest. Er ist auf irgendwas gestoßen im Labor, und er macht große Fortschritte. Ein schlauer Junge, glaub mir. Er wird es weit bringen. Nicht, dass ich deine Freunde für dich aussuchen möchte, aber er wäre eine gute Wahl.«
    »Ich werd’s mir merken.«
    Glassings versetzt ihm einen freundschaftlichen Boxhieb und schlendert davon. Partridge steht eine Minute lang da. Er fühlt sich entgleist, doch dafür gibt es keinen Grund. Es war falscher Alarm. Er versucht sich zusammenzureißen. Tut so, als hätte er etwas verloren – klopft seine Taschen ab – wo die Schlüssel versteckt sind –, dann die Hosentaschen, und schließlich schüttelt er den Kopf. Beachtet ihn überhaupt jemand? Schließlich steuert er auf den ersten schwach erleuchteten Gang zu, den Weg zurück zum Wohnheim. Doch sobald er um die Ecke ist, biegt er erneut ab, in Richtung der Türen der Gründerhalle. Er zieht Lydas Schlüsselbund hervor, wählt den größten Schlüssel aus und schiebt ihn ins Schloss.
    Die Gründerhalle ist der Hauptausstellungssaal. Hier gibt es eine Ausstellung des Häuslichen Lebens . Partridge zückt seinen Leuchtkugelschreiber und lässt ihn über die Batterie von Messlöffeln in einer Samtauslage gleiten, eine kleine weiße Zeitschaltuhr und Teller mit kunstvollen Verzierungen. Lyda ist verantwortlich für diese Ausstellung. Deshalb wollte er mit ihr auf den Ball, ein kalkulierter Schachzug, um an die Schlüssel zu kommen – was schlimmer klingt, als es in Wirklichkeit ist. Partridge ruft sich ins Gedächtnis, dass

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